
SPD-Kandidat Scholz
Foto: Kay Nietfeld / picture alliance / dpaAn der Abstimmung müssen Olaf Scholz und die SPD-Vorsitzenden bis zur Bundestagswahl noch ein wenig arbeiten. Denn sonst kommt es zu Szenen wie an diesem Sonntagabend: Da lässt sich der Kanzlerkandidat in der ARD befragen, parallel treten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der Parteizentrale vor die Kameras.
Ein Patzer aus Sicht von Parteistrategen, vielleicht aber auch bezeichnend für den Zustand der Partei.
Die SPD schwankt nach den beiden Landtagswahlen zwischen zwei Extremen: klar stärkste Partei in Rheinland-Pfalz dank Malu Dreyer. Und nur noch knapp zweistellig in Baden-Württemberg.
Was, bitteschön, sollen die Sozialdemokraten jetzt daraus machen?
Ein durchwachsenes Ergebnis, könnte man sagen. Doch so funktioniert das Spiel nach Wahlen nicht. Sowohl Scholz wie auch Esken und Walter-Borjans feiern den Tag als Erfolg. Es sei »ein Auftakt nach Maß ins Superwahljahr«, jubelt Esken. Die SPD habe gezeigt, wie man Wahlen gewinnt.
Scholz sagt: »Es ist ein guter Tag.« Eine Regierung ohne die CDU sei möglich. Er wolle Kanzler werden, so Scholz, und da habe sich gezeigt, »dass das geht«.
Seit mehr als einem halben Jahr ist Scholz nun Kanzlerkandidat. Und auf einmal scheint sein Ziel, die SPD nach 16 Jahren zurück ins Kanzleramt zu führen, ein wenig realistischer zu werden.
Denn auch wenn die SPD in Baden-Württemberg gerade mal auf gut elf Prozent kommen dürfte und die Rheinland-Pfälzer ihren Sieg im Wesentlichen Malu Dreyer verdanken: Von den Wahlen geht tatsächlich ein Signal aus, das die Sozialdemokraten lange herbeigesehnt haben: die Ampel.
In Rheinland-Pfalz gibt es ein solches Bündnis schon seit dem Jahr 2016. Und künftig könnten SPD, Grüne und FDP auch in Baden-Württemberg gemeinsam regieren – dort allerdings geführt vom Grünen Winfried Kretschmann. Laut einer ARD-Hochrechnung am Sonntagabend könnte es im Stuttgarter Landtag eventuell sogar für Grün-Rot reichen.
Scholz sieht sich im Aufwind. Die Union schwächelt, nicht nur wegen der Skandale um Abgeordnete, die sich an Maskendeals bereichert haben. Auch die Kritik am Corona-Krisenmanagement der CDU-Minister Jens Spahn und Peter Altmaier wächst.
Und nun also das Ampelsignal.
Doch wie realistisch ist ein Comeback der SPD auf Bundesebene? Angekündigt haben führende Genossen es schon oft. Doch in den Umfragen bewegte sich wenig, die Partei dümpelt weiter bei 16 bis 17 Prozent. Malu Dreyer holte nun doppelt so viel.
So hohe Beliebtheitswerte wie sie hat Scholz nicht. Noch wichtiger aber: Dreyer profitierte wie Kretschmann vom Amtsbonus. Beide Ministerpräsidenten zogen ihre Partei zu Ergebnissen weit über dem Bundestrend. Eine Entwicklung, die es zuletzt häufig bei Landtagswahlen gab, die durch die Coronapandemie aber verstärkt worden sein könnte.
Klar ist aber auch: Bei der Bundestagswahl tritt Angela Merkel nicht wieder an. Scholz könnte als Kandidat mit der größten Regierungserfahrung punkten, hoffen die Sozialdemokraten. Ihr Ziel lautet: die Union unter 30 Prozent drücken, am Abend formuliert Scholz bei »Anne Will« genau das als eines seiner Wahlziele. Dann, so die Annehme der SPD-Strategen, könnte die SPD das Kanzleramt zurückerobern.
Die Schwäche der Union lässt dieses Szenario nicht mehr als reinen Wunschtraum der Genossen erscheinen. Doch damit Scholz überhaupt eine Chance hat, müsste seine Partei ein wenig so werden wie der rheinland-pfälzische Landesverband. Von dessen Geschlossenheit und Professionalität ist die Bundes-SPD allerdings weit entfernt.
Streit über Identitätspolitik legt Sollbruchstelle offen
Obwohl sich am Sonntag alle als Gewinner feiern, ist die Stimmung im Willy-Brandt-Haus nicht so euphorisch. Dabei wähnten die Genossen sich eigentlich auf einem guten Weg. Die Partei trat im Winter vergleichsweise geschlossen auf, gemeinsam mit Scholz präsentierten Esken und Walter-Borjans Anfang März einen Programmentwurf, in dem sich sowohl Parteilinke als auch konservative Sozialdemokraten wiederfinden.
Doch kurz darauf war es um die Einigkeit geschehen und die SPD beschäftigte sich mal wieder mit sich selbst. Ein öffentlicher Streit zwischen Esken und Kevin Kühnert auf der einen Seite und Gesine Schwan und Wolfgang Thierse auf der anderen entbrannte. Von einer »Katastrophe« ist unter führenden Genossen die Rede, der Frust sei groß.
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Die Debatte über Identitätspolitik legte eine Sollbruchstelle offen: Was für eine Partei will die SPD sein? Kämpfen die Genossen vor allem für sozial Schwächere oder für Minderheiten? Zwischen Traditionssozis und Teilen der Parteilinken herrschen hier völlig unterschiedliche Vorstellungen. Und das könnte es auch Wählerinnen und Wählern erschweren zu erkennen, woran sie bei der SPD eigentlich sind.
Wie tief der Konflikt wirklich geht, zeigt sich auch daran, dass es der Parteispitze trotz zahlreicher Bemühungen tagelang nicht gelang, den Streit abzuräumen. Scholz beschwichtigt, er habe kürzlich mit einem Aufsatz in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« eine Haltung formuliert, hinter der sich alle versammeln könnten. Doch der Konflikt könnte jederzeit wieder aufbrechen.
Eine dauerhafte Einigkeit ist bei der streitlustigen SPD schwer vorstellbar. Helfen könnten dabei Attacken auf den Koalitionspartner, die auch Scholz seit Anfang des Jahres immer häufiger fährt. Parteichef Walter-Borjans warf der Union am Sonntag vor, die Verfehlungen in der Maskenaffäre hätten System. »In Teilen von CDU und CSU ist das Prinzip, dass eine Hand die andere wäscht, immer wieder zum Vorschein gekommen«, sagte Walter-Borjans der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«.
Die Union schlug direkt zurück. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak warf dem SPD-Chef vor, »in einer ziemlich dreisten Art Tausende CDU-Mitglieder verächtlich« zu machen.
Das macht auch eines deutlich: Der Bundestagswahlkampf ist in vollem Gange.
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