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Infektionsschutzgesetz: Wie das neue Gesetz in den Alltag eingreift - ZEIT ONLINE

Das Coronavirus macht immer mehr Menschen krank, außerdem sind nur noch 14 Prozent der Intensivbetten frei, so wenig wie seit Pandemiebeginn nicht. Ärzte warnen vor Überlastung der Krankenhäuser. Auch deshalb ergänzte der Bundestag das Infektionsschutzgesetz um den Paragrafen 28b. Er enthält eine bundeseinheitliche Corona-Notbremse mit nächtlicher Ausgangssperre. Eigentlich gab es die Notbremse schon – die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten hatten Anfang März beschlossen, dass sie bereits beschlossene Corona-Lockerungen zurücknehmen, wenn die Inzidenz über 100 steigt. Vereinzelt geschah das auch, lokal wurden sogar Ausgangssperren verhängt. Doch weil viele Länder und Kommunen die Bund-Länder-Beschlüsse durch Teststrategien und Modellprojekte aufgeweicht haben, vereinheitlichte der Bund den Kampf gegen die Pandemie nun.

Übersicht:

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Was ändert sich genau?

Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt drei Tage lang über 100 liegt, gilt ab dem übernächsten Tag: Dann

  • dürfen sich nur noch Menschen aus einem Haushalt mit einer weiteren Person treffen. Das gilt drinnen wie draußen, nur Kinder bis 14 Jahre zählen nicht mit. 
  • gilt eine Ausgangssperre ab 22 Uhr, jedoch mit Ausnahmen.
  • darf man Sport nur kontaktlos, allein, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts ausüben.
  • schließen körpernah tätige Dienstleister, bereits geöffnete Außengastronomie, Museen und andere Einrichtungen – sofern sie überhaupt geöffnet sind. Friseure allerdings bleiben offen. Ab einer Inzidenz von 150 schließen Teile des Einzelhandels.

Wo kann ich noch einkaufen?

Bis zu einer Inzidenz von 150 bleibt Click & Meet für Einzelkunden möglich, also das Terminshopping mit der Angabe von Kontaktdaten und Negativtest. An dieser Stelle hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Regierung abgeschwächt. Oberhalb von 150 bleibt nur Click & Collect möglich, also das Abholen bestellter Waren. Der Lebensmittelhandel bleibt offen, ebenso Lebensnotwendiges wie Apotheken, Buchhandlungen, Drogeriemärkte. Auch die Außenanlagen von Zoos und botanischen Gärten dürfen Bürgerinnen und Bürger mit Negativtest besuchen.  

Wie erfahre ich, was gilt?

Die Notbremse tritt automatisch in Kraft, wenn die Inzidenz in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt drei Tage bei mehr als 100 liegt, separate Erlasse gibt es keine. Diese Zahlen der vergangenen Tage bekommt man beim Robert Koch-Institut (etwas umständlich, im Tabellenblatt LK_7-Tage-Inzidenz der dort abrufbaren Excel-Tabelle), das RKI-Dashboard zeigt nur die tagesaktuelle Zahl. Beim RKI sei aber eine übersichtlichere Darstellung in Arbeit, so eine Sprecherin. Zudem lohnt es sich, die Websites der Kommunen zu besuchen oder Lokalnachrichten zu hören.  

Wann darf ich nicht mehr raus?

Die Ausgangsbeschränkung gilt ab 22 Uhr, eine Stunde später, als von der Regierung beabsichtigt. Bis Mitternacht darf man dann noch allein joggen oder einen Abendspaziergang machen, erlaubt ist "allein ausgeübte körperliche Bewegung" – im Auto oder in der Bahn unterwegs zu sein ist also verboten. Spätestens ab 24 Uhr muss man bei einer Kontrolle draußen einen "triftigen Grund glaubhaft machen" (darunter fallen Arbeit, medizinische Notfälle, Hilfe für zu Betreuende, Tierversorgung). Mit dieser Freiheitsbeschränkung bis 5 Uhr zielt die Regierung nicht darauf ab, Infektionen im Freien zu verhindern – diese Gefahr ist laut Aerosolforschern gering –, sondern gegenseitige abendliche Treffen von Menschen in Wohnungen zu unterbinden. Die Sorge ist, dass geselliges abendliches Zusammensitzen Infektionen begünstigen könnte. In bevölkerungsarmen Regionen wird die Kontrolle dieser Ausgehbeschränkungen allerdings schwierig, die Polizei könne das nicht leisten, ist aus Landesregierungen zu hören.

Wie läuft der Schulbetrieb?

Wer ins Schulgebäude kommt, muss sich zweimal pro Woche testen lassen – so war es auch schon bisher in einigen Bundesländern Vorschrift. Sobald die Notbremse greift, müssen Schülerinnen und Schüler in den Wechselunterricht, also in geteilte Klassen. Ab einer Inzidenz von 165 darf gar kein Präsenzunterricht mehr stattfinden. Diesen als willkürlich kritisierten Wert begründete die SPD mit dem gegenwärtigen Bundesdurchschnitt. Dieser Grenzwert gilt auch für berufsbildende Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen. 

Wer muss von zu Hause aus arbeiten?

Auch das steht jetzt im Gesetz und nicht wie bisher nur in der Arbeitsschutzverordnung: Wer nicht ins Homeoffice wechseln soll oder will, muss das jetzt nachvollziehbar begründen. Der Arbeitgeber muss den Beschäftigten "im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten" anbieten, von zu Hause aus zu arbeiten, sofern nicht "zwingende betriebsbedingte Gründe" dagegensprechen, etwa dass ein Arbeitsplatz nicht homeofficefähig ist. Und: Die Beschäftigten müssen das Angebot annehmen, soweit ihrerseits dem keine Gründe entgegenstehen. Darunter fallen zum Beispiel räumliche Enge, Störungen durch Dritte oder unzureichende technische Ausstattung.

Ab wann gilt das neue Gesetz und wie lange?

Hier muss man zwei Schritte unterscheiden. Wann es in Kraft tritt, ist noch nicht klar. Am Donnerstag befasst sich zunächst der Bundesrat mit dem Gesetz, er kann es allerdings nicht stoppen. Danach muss es der Bundespräsident unterzeichnen. Sofern er auf eine inhaltliche Prüfung verzichtet, könnte es anschließend sofort online im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Und tritt damit in Kraft. 

Wirkung entfalten die Gesetzesänderungen aber erst, wenn in Kommunen die Inzidenzgrenze von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten ist. Das ist derzeit bei 348 der 401 Kreise Deutschlands der Fall. Die Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes zählen bereits mit. Dann gibt es noch zwei Tage Übergangsfrist. Für die Kommunen könnte es also stressig werden, denn sie müssen den Schulbetrieb umorganisieren und Schließungen in die Wege leiten. 

Die neuen Bundesregeln gelten für die Dauer einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, wie sie der Bundestag per Beschluss festgestellt hat. Zunächst ist das bis zum 30. Juni 2021 der Fall. 

Und wenn die Inzidenz unter 100 fällt?

Am fünften Tag nach Unterschreiten der 100 gelten wieder die zuletzt gültigen Landesverordnungen – die dort bereits festgeschriebenen Öffnungspläne der Länder könnten greifen, etwa die Außengastronomie zu öffnen. Museen könnten Besucherinnen einlassen. In Modellprojekten wie in Tübingen, Augustusburg oder im Saarland könnten Hotels und Gaststätten wieder öffnen, wenn die Landesregierungen das gestatten. Fachleute warnten im Gesundheitsausschuss jedoch, die Inzidenz könnte sich durch einsetzende Lockerungen um die 100 einpendeln. Dann müsste man ständig vor und zurück.

Kann man gegen das Gesetz klagen?

Weil das Infektionsschutzgesetz ein Bundesgesetz ist, müssten einzelne Bürgerinnen und Bürger eine aufwendige Verfassungsklage erheben, um es zu stoppen. Einfacher ist es, diesen Weg den Politikern zu überlassen. Die FDP hat angekündigt, eine solche Klage anzustreben, doch dem müsste sich ein Viertel der Bundestagsabgeordneten anschließen.

Für Bürger ist es einfacher, gegen Bußgeldbescheide und Länderverordnungen zu klagen. Diese Klagen gegen Verwaltungsakte werden vor den Verwaltungsgerichten verhandelt. Kneipenwirte und andere Betroffene hatten hier schon Erfolg. 

Ist die Ausgangssperre verfassungskonform?

Fachleute und Politikerinnen zweifeln, ob das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. Sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bezweifelt das. Staats- und Verfassungsrechtler hatten in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses gewarnt, der Nutzen der Ausgangssperre stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur Freiheitseinschränkung. Ob zu Recht, wird sich erst nach einem entsprechenden Urteil zeigen.

Gibt es Ausnahmen für Geimpfte und negativ Getestete?

Wie die Impfreihenfolge, die Testpflicht oder bisher auch das Homeoffice regelt solche Ausnahmen ebenfalls der Bund, durch Bundesverordnungen. Neu ist: Solche Bundesverordnungen bedürfen der Zustimmung der notwendigen Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Die Parlamente sind daran also künftig beteiligt.

Kann der Bundesrat das Gesetz stoppen?

Das Infektionsschutzgesetz umzusetzen, ist Sache der Bundesländer. Der Bund macht den Ländern dafür in der Gesetzesänderung aber nur grobe Vorschriften. Damit umging die Regierung das Problem, dass der Bundesrat das Gesetz hätte ablehnen können, das Länderparlament nimmt das sogenannte Einspruchsgesetz praktisch nur zur Kenntnis. Eine Zustimmung ist nicht nötig.

Wie sieht die Opposition das Gesetz?

In der intensiven Debatte im Bundestag kündigte die FDP an, vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe zu ziehen. Die Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus beklagte die Unwirksamkeit der Ausgangssperre und forderte, die "wichtigen Modellprojekte" wie in Tübingen nicht zu schließen. Die FDP kritisiert, dass die entlastende Wirkung der Impfungen nicht genügend berücksichtigt sei, auch zieht die FDP die Inzidenz als alleinigen Orientierungswert in Zweifel. Jan Korte von der Linksfraktion beklagte, Unternehmerinnen und Unternehmer würden in der Pandemie mit Samthandschuhen angefasst, alle anderen würden stark eingeschränkt.

Alexander Gauland von der AfD sprach von Freiheitsbeschränkungen aufgrund einer "jederzeit manipulierbaren" Inzidenz, ohne aber den Manipulationsverdacht zu begründen. Die Auslastung des Gesundheitswesens wäre ein geeigneterer Indikator als die Inzidenz, sagte Gauland. Und er warnte, die grundrechtlichen Einschränkungen ließen sich etwa im Kampf um Klimaschutz auch anwenden. Die Grünen kritisierten die Maßnahmen als "zu spät, zu unwirksam". Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisierte die Inzidenzwerte als willkürlich: "Woher haben Sie eigentlich diese Zahlen? Würfeln Sie die aus?"

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