Search

Pistorius: Evakuierung von afghanischen Helfern kommt zu spät - NDR.de

Stand: 16.08.2021 21:54 Uhr

Niedersachsens Innenminister Pistorius kritisiert die in seinen Augen zu späte Evakuierung afghanischer Helfer nach dem Taliban-Vormarsch. Die Bundeswehr müsse nun "rausholen, wen immer man rausholen kann".

Die Ortskräfte seien "in akuter Lebensgefahr", schrieb Boris Pistorius (SPD) über den Nachrichtendienst Twitter. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und das Bundesinnenministerium hätten dies wissen müssen. Die "Evakuierung kommt zu spät." Es sei ein "unwürdiges, gefährliches Ende eines langen, wichtigen Einsatzes". Er betonte zudem, Visa könnten nach der Ankunft in Deutschland ausgestellt werden. Für komplizierte Verfahren in Afghanistan fehle aktuell die Zeit. Es komme auf jeden Tag an.

Niedersachsen hat bereits Ortskräfte aufgenommen

Pistorius hatte bereits Mitte Juni auf eine bereitwilligere Aufnahme von Ortskräften aus Afghanistan gedrängt. Der Innenminister kündigte an, dass die aus Afghanistan kommenden Menschen auch in Niedersachsen Schutz finden würden. Das Land habe bereits mehr als drei Viertel der bislang 1.100 afghanischen Ortskräfte aufgenommen, die mit ihren Familien in Deutschland eingetroffen seien. Es gehe aber insgesamt um mehrere Tausend Menschen. Auch Bundespolitiker aus der Opposition kritisierten das Vorgehen bei der Evakuierung.

Gesellschaft für bedrohte Völker: Hilfskräfte rausholen

Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen forderte die Bundesregierung auf, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit bedrohte afghanische Hilfskräfte das Land verlassen können. Außerdem müsse sich Deutschland zusammen mit der EU für den Schutz bedrohter Minderheiten in Afghanistan einsetzen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", die Bundesrepublik sollte Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen - unabhängig davon, ob sie Helfer der Alliierten waren oder nicht. Die Landesaufnahmebehörde in Braunschweig und das Grenzdurchgangslager Friedland (Landkreis Göttingen) sind nach Angaben des Innenministeriums vorbereitet. Dort sei Platz für Hilfskräfte aus Afghanistan.

AUDIO: Kommentar zum deutschen Umgang mit Ortskräften in Afghanistan (4 Min)

A400M bilden "Luftbrücke" von Kabul in Drittland

Deutsche Staatsangehörige sowie die afghanischen Helfer sollen in den kommenden Tagen mit Transportmaschinen der Bundeswehr ausgeflogen werden. Drei A400M und ein weiteres Militärflugzeug sind dafür am Montag von Wunstorf (Region Hannover) aus gestartet. Zwei der Transportflugzeuge mit Ziel Kabul hingen aber zunächst aufgetankt im aserbaidschanischen Baku fest. Aufgrund der chaotischen Lage am Flughafen in Kabul konnten sie nicht landen. Eine der Maschinen startete dann am Montagnachmittag in Baku, um sich im Luftraum über Kabul für eine Landung bereitzuhalten. Allerdings musste sie am Abend dann in Richtung der usbekischen Hauptstadt Taschkent abdrehen, um dort nachzutanken, wie es aus Militärkreisen hieß. Ein dritter A400M, der für medizinische Transporte ausgerüstet ist, sowie eine Maschine des Typs A310 MRTT starteten am Montag von Wunstorf aus in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Sie soll Drehscheibe für den Evakuierungseinsatz werden.

Kräfte aus Seedorf im Einsatz

An Bord der deutschen Maschinen sind unter anderem Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte (DSK) aus Seedorf im Landkreis Rotenburg (Wümme). Sie sollen die Evakuierung in der afghanischen Hauptstadt Kabul absichern. Dafür ist die Spezialeinheit der Bundeswehr extra ausgebildet. An der Rückholaktion sind zudem Feldjäger und Bundeswehrsanitäter beteiligt. Die radikalislamischen Taliban haben nach der Einnahme Kabuls am Sonntag inzwischen die Macht in Afghanistan übernommen.

Wie geht es weiter mit Hilfsprojekten aus Niedersachsen?

Die Machtübernahme der Taliban stellt auch Hilfsorganisationen vor Probleme. So hat der afghanische Frauenverein aus dem Landkreis Osnabrück den Großteil seiner Hilfsprojekte gestoppt, wie die Vorsitzende Nadja Nashir-Karim sagte. Der vor fast 30 Jahren gegründete Verein hat in Afghanistan unter anderem Schulen und Krankenhäuser betrieben. So auch der Hilfsverein Katachel aus dem Landkreis Gifhorn. Dessen Projekte im ländlichen Raum sollen zunächst weitergehen, sagte die Vorsitzende Sybille Schnehage. Ein Taliban-Gouverneur habe vor einigen Tagen ihr Büro in Kunduz besichtigt und Schutz vor Räuberbanden zugesichert. Der Verein werde wohl eine Bescheinigung bekommen, dass die Arbeit weitergeht. Katachel e.V. repariere Schulen, helfe bei der Fabrikation von Decken oder unterstützte den Bau einer Speiseöl-Fabrik. Mit diesen Mikro-Projekten sichere der Verein vielen Menschen ihr Auskommen, so Schnehage.

Kritik an Entwicklungspolitik

Die aktuelle Entwicklung habe sich aber schon seit langem abgezeichnet, sagte die Vereinsvorsitzende, die selbst schon oft in Afghanistan war. Es seien nicht die Fehler des Militärs gewesen, sondern der Entwicklungspolitik, so Schnehage. Die ländlichen Regionen seien vernachlässigt worden. Die jungen Männer um die 20 Jahre seien deshalb ohne Arbeit und Perspektive und hätten sich den Taliban angeschlossen oder sich zu kriminellen Banden zusammengefunden, vor denen die ländliche Bevölkerung viel mehr Angst habe als vor den Taliban, betonte die Vereinsvorsitzende.

AUDIO: Afghanistan: Taliban wollen "Zucht und Ordnung" schaffen (6 Min)

Erste Botschaftsmitarbeiter nach Katar ausgeflogen

Die Taliban hatten in den vergangenen Tagen eine Stadt nach der anderen erobert - teilweise kampflos. Am Sonntag nahmen sie schließlich auch Kabul ein und besetzten den Präsidentenpalast. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Botschaft wurden zum Flughafen gebracht, der von Tausenden US-Soldaten abgesichert wird. Ein US-Flugzeug brachte in der Nacht zu Montag 40 Mitarbeitende der deutschen Botschaft nach Doha im Golfemirat Katar.

Verteidigungsministerium: "Gefährlicher Einsatz"

Es geht um den bislang wohl größten Evakuierungseinsatz der Bundeswehr. "Fest steht: Es ist ein gefährlicher Einsatz für unsere Soldatinnen und Soldaten", schrieb das Verteidigungsministerium am Montag auf Twitter. Das Mandat für den Bundeswehreinsatz soll der Bundestag nachträglich erteilen - dieses Vorgehen ist möglich, wenn Gefahr im Verzug ist. Das Parlament könnte sich dann kommende Woche damit beschäftigen, wenn es zu einer Sondersitzung wegen der Hochwasserhilfen zusammenkommt. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Wilhelmshaven und verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Siemtje Möller, äußerte sich sehr besorgt. Es sei "eine ungeklärte Lage auf dem Boden in Kabul" und ein "äußerst gefährlicher Einsatz". Sie dankte den Einsatzkräften, denn der Einsatz sei "im Dienste der Menschlichkeit", so Möller.

Weitere Informationen

Angela Merkel © Reuters/Pool/dpa Foto: Fabrizio Bensch

Die Kanzlerin sagte, Deutschland versuche, Ortskräfte in Sicherheit zu bringen. Aber das hänge "von der Lage in Kabul ab". Mehr bei tagesschau.de. extern

Ein Bundeswehrsoldat (l.) und ein Dolmetscher (r.) sprechen nahe Kundus im Distrikt von Char Darreh mit einem Mann. © dpa bildfunk Foto: Maurizio Gambarini

171 Personen sind bereits in Niedersachsen gelandet. 300 weitere sollen in Kürze folgen. 3.000 warten auf die Ausreise. (13.08.2021) mehr

Ein Bundeswehrsoldat und ein Dolmetscher in Bundeswehruniform sprechen nahe Kundus im Distrikt von Char Darreh mit Bewohnern. © picture alliance/dpa Foto: Maurizio Gambarini

Es werden 212 Personen aus Afghanistan erwartet. Nach dem Abzug der NATO-Truppen sind sie im Visier der Taliban. (08.07.2021) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 15.08.2021 | 12:00 Uhr

NDR Logo

Adblock test (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( Pistorius: Evakuierung von afghanischen Helfern kommt zu spät - NDR.de )
https://ift.tt/3iRS83t
Deutschland

Bagikan Berita Ini

Related Posts :

0 Response to "Pistorius: Evakuierung von afghanischen Helfern kommt zu spät - NDR.de"

Post a Comment

Powered by Blogger.