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Warum ist der Osten beim Impfen abgeschlagen? - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Angesichts steigender Inzidenzen drohen die letzten Sommerwochen abermals in einen Corona-Herbst zu münden. Fachleute halten eine Impfquote von mindestens 85 Prozent der Menschen über zwölf Jahre für nötig, um der Ausbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante Einhalt zu gebieten. Die Impfmüdigkeit in Deutschland wächst dessen ungeachtet. Zu den Hochzeiten der Impfkampagne wurden mehr als eine Million Dosen am Tag in Deutschland verimpft. Aktuell sind es nicht einmal mehr 500.000 – Tendenz sinkend. Woran liegt das?

Wer beim Bundesgesundheitsministerium nachfragt, erfährt, dass allen Impfwilligen inzwischen ein Angebot gemacht worden sei. Damit sei die Kampagne bereits zu Beginn des Sommers „übererfüllt“ worden, teilt ein Sprecher der F.A.Z. mit. Tatsächlich sind mittlerweile die Hälfte der Deutschen vollständig geimpft, knapp zwei von drei Deutschen werden bald zumindest eine Impfdosis erhalten haben. Aber das ist weit entfernt von den geforderten 85 Prozent.

Laut dem European Covid Survey, einer Studie der Universität Hamburg, war die Impfbereitschaft in der Bevölkerung von April bis Anfang Juli noch einmal gestiegen. Zugleich aber wurden auch regionale Unterschiede deutlich. Im Norden wollten sich die meisten Menschen impfen lassen, im Osten die wenigsten. Bremen etwa liegt mit 70,6 Prozent einmalig und 60,7 Prozent vollständig Geimpften an erster Stelle. Sachsen ist das Schlusslicht. Der Freistaat kommt nur auf 47,2 Prozent vollständig und 52,1 Prozent einmalig Geimpfte. Wenig besser sieht es in Thüringen aus. Und Erstimpfungen kommen in beiden Ländern kaum noch hinzu – die Impfquote steigt in Thüringen wie in Sachsen täglich nur um etwa 0,2 Prozentpunkte.

Die Impfkampagne liegt größtenteils in der Verantwortung der Länder. Der Bund bezahlt, beschafft die Impfstoffe und verteilt sie. Bislang wurden die Länder dabei in erster Linie nach dem Anteil ihrer Einwohner an der Gesamtbevölkerung bedacht. Ausnahmen von der Regel gab es zum Schutz von Gebieten, die besonders gefährdet waren. So beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz im März Zusatzlieferungen für das Saarland und Rheinland-Pfalz, um sie vor Virusvarianten aus Frankreich zu schützen. Ähnliches galt für Thüringen, Sachsen und Bayern wegen der ehemals hohen Infektionszahlen in der Tschechischen Republik.

Die Nachfrage bestimmt künftig das Angebot

Mitte August wird der Bundesverteilschlüssel ersetzt durch neue Regeln. Dann sollen die Länder nur noch das bekommen, was sie bestellen. Die Nachfrage bestimmt dann das Angebot. Dass Hunderttausende Impfdosen ungenutzt in Kühlschränken lagern wie zuletzt, soll damit vermieden werden. Für Bayern könnte das zu einem Vorteil werden. Der Freistaat fühlte sich bislang bei der Verteilung benachteiligt. Damit erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch, dass sein Land bei den Impfungen unter dem Bundesdurchschnitt lag. „Wir brauchen mehr Impfstoff“, hatte er noch Ende Juni gesagt. Mittlerweile liegt Bayern bei den gelieferten Impfdosen auf Platz vier, bei den verabreichten Impfdosen allerdings weiter auf einem der hinteren Plätze.

In Thüringen, das bei den gelieferten Impfstoffdosen auf dem vorletzten Platz rangiert, versucht man sich an einer weiteren Erklärung für die ungleiche Verteilung. Das Gesundheitsministerium in Erfurt teilte der F.A.Z. mit, ursächlich sei die geringere Hausarztdichte in ländlichen Regionen und die geringe Zahl an Betriebsärzten. Vor allem nach der Öffnung der Impfungen für niedergelassene Ärzte sei Thüringen bei den Erstimpfungen zurückgefallen. „Die Thüringer Wirtschaftslandschaft besteht zu rund 95 Prozent aus Kleinst-, kleinen und mittelständischen Unternehmen ohne eigene Betriebsärzte.“ Das Land versuche mit Impfaktionen in kleinen und mittelständischen Unternehmen ohne Betriebsarzt gegenzusteuern.

Die ungleiche Verteilung der Impfdosen ist also nur eine mögliche Erklärung für die regionalen Unterschiede. Das Saarland und Nordrhein-Westfalen liegen sowohl bei den Lieferungen als auch bei den Impfungen vorne. Thüringen und Brandenburg fallen in beiden Kategorien ab. Andererseits gibt es Länder, die ähnlich viel Impfstoff erhalten haben und dennoch bei der Impfquote auseinanderklaffen. Bremen, das Spitzenreiter bei der Impfquote ist, hat 120,4 Dosen pro 100 Einwohner erhalten, Schlusslicht Sachsen kommt mit 117,5 Dosen auf nicht viel weniger. Dabei hat Bremen sogar noch mehr Dosen verimpft, als es nach dem Bundesverteilschlüssel erhalten hat – 103 Prozent. Der Bremer Gesundheitsbehörde zufolge liegt diese „statistische Diskrepanz“ an „Ausgleichslieferungen mit Niedersachsen“.

Sachsen hingegen hat von seinen 117,5 Impfdosen pro 100 Einwohner erst knapp 82 Prozent verimpft. Dem Sozialministerium Sachsen zufolge könne inzwischen in jedem Landkreis Interessenten ein sofortiges Impfangebot gemacht werden – „bei freier Impfstoffwahl“. In den Impfzentren des Landes gebe es „Tausende freie Termine“. Dabei sei die Impfbereitschaft in Sachsen grundsätzlich durchaus hoch, so das Sozialministerium in Dresden unter Verweis auf eine repräsentative Umfrage der Technischen Universität Dresden. 73 Prozent der Sachsen sind demnach schon geimpft oder stehen einer Impfung aufgeschlossen gegenüber.

Der Anteil der Impfskeptiker aber liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt: Demnach zeigt über ein Fünftel aller Sachsen wenig oder keine Bereitschaft zu einer Corona-Impfung. Ähnlich viele sind der Umfrage zufolge zudem anfällig für Verschwörungstheorien, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. Nicht nur in Sachsen, auch in anderen ostdeutschen Bundesländern könnte auch Sorglosigkeit ein möglicher Grund für den schleppenden Impffortschritt sein. Nachdem Thüringen und Sachsen bei der dritten Corona-Welle zu den Gebieten mit den höchsten Sieben-Tage-Inzidenzen zählten, steigen die Werte gegenwärtig deutlich langsamer als im Rest der Republik.

Keines der ostdeutschen Bundesländer – mit Ausnahme Berlins – weist bislang eine zweistellige Inzidenz auf. Mancherorts lässt sich zudem ein Stadt-Land-Gefälle beobachten. Erfurt und Weimar etwa weisen weit höhere Impfquoten auf als die meisten ländlichen Regionen Thüringens (siehe hier). Der Osten Deutschlands ist weniger dicht besiedelt. Es gibt nur wenige große Städte.

Da eine Impfpflicht von der Bundesregierung ausgeschlossen wird, setzen die Länder inzwischen auf niedrigschwellige Angebote, um die Quoten zu erhöhen. Impfungen werden vermehrt an Touristenattraktionen, vor Einkaufzentren oder bei sportlichen Veranstaltungen angeboten. Sachsen arbeitete zuletzt mit mobilen Impfteams, etwa beim Christopher Street Day in Leipzig, beim FC Erzgebirge Aue oder vor dem Stadion des Chemnitzer FC, wo es für die Impfung auch eine Freikarte für ein Spiel des Regionalligisten gab.

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