Search

Das italienische Impfwunder - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wer sich die italienische Impfkurve anguckt, wird einige Sprünge bemerken. Und wer dem Rätsel auf den Grund geht, landet schnell bei der Regierung des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi. Immer, wenn sie einen weiteren Entschluss zum sogenannten Green Pass fasst, fassen sich ihrerseits viele Italiener ein Herz und melden sich für die Immunisierung an. „Green Pass“ heißt in Italien jenes Zertifikat, mittels dessen eine Impfung mit mindestens einer Dosis gegen das Coronavirus, eine überstandene Covid-19-Erkrankung oder ein negativer Test nachgewiesen wird.

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Eingeführt wurde der „grüne Pass“ – in Form eines QR-Codes auf dem Handy und als Nachweis auf Papier – in diesem Frühjahr zu dem Zweck, Reisen zur Zeit der Sommerferien innerhalb der EU zu erleichtern. Diesen ersten Zweck hat er in Italien weitestgehend erfüllt. Bis Ende August wurden gut zwanzig Prozent mehr Urlauber als im ersten „Pandemiesommer“ 2020 registriert, freilich immer noch 34 Prozent weniger als im überaus erfolgreichen Jahr 2019. Die Verpflichtung zum „grünen Pass“ entspricht in Deutschland der 3-G-Regel, wonach eine Einrichtung nur betreten darf, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Inzwischen wurde die Green-Pass-Pflicht in Italien in mehreren Schritten auf immer größere Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ausgeweitet.

Hohe Bußgelder

Seit August wird der Green Pass als Zutrittsberechtigung zu Museen und Konzertsälen, zu Messen und Veranstaltungen, zu Fitnessstudios oder den Innenräumen von Gastronomiebetrieben verwendet. Seit Anfang September muss der Green Pass auch in Überlandbussen, in Zügen und auf Schiffen vorgezeigt werden. Zwar gibt es im ganzen Land immer wieder Proteste gegen die pandemiebedingten Einschränkungen im öffentlichen Leben. Die Teilnehmerzahl bei den Demonstrationen hält sich aber in engen Grenzen. Der von der Regierung erwünschte Effekt der verschärften Green-Pass-Pflicht auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung ist dafür umso deutlicher zu erkennen. Gleich nach Bekanntgabe der jeweiligen Maßnahmen oder kurz vor deren Inkrafttreten gibt es mehr Vormerkungen für Impftermine und auch einen größeren Andrang an den Impfzentren, wo der Impfstoff ohne vorherige Anmeldung verabreicht wird.

In der vergangenen Woche beschloss das Kabinett, dass von Mitte Oktober an die Corona-Zertifikatspflicht auch für das gesamte Arbeitsleben gilt. Arbeiter und Angestellte in öffentlichen Unternehmen und Verwaltungen sowie in Privatbetrieben müssen über den Green Pass verfügen, wenn sie ihren Arbeitsplatz aufsuchen. Davon betroffen sind 23 Millionen Beschäftigte, von denen rund vier Millionen bisher ungeimpft sind. Verstöße und Verweigerungen werden hart bestraft: Wer ohne Green Pass zur Arbeit kommt oder wer als Arbeitgeber seine Kontrollpflicht vernachlässigt, muss mit hohen Bußgeldern rechnen.

Wie der von Ministerpräsident Draghi bei dessen Amtsantritt vom Februar ernannte Pandemie-Sonderkommissar Francesco Figliuolo am Montag mitteilte, gab es allein am Samstag 35 Prozent mehr Anmeldungen zu einer Impfung als am Samstag davor. Für diese Woche wurden landesweit zwanzig bis vierzig Prozent mehr Anmeldungen für eine Erstimpfung verzeichnet als in der Vorwoche. Bisher sind nach Regierungsangaben 77 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahre vollständig geimpft, mindestens eine Dosis haben 83 Prozent erhalten. Nach dem Willen der Regierung sollen bis Ende Oktober mindestens 90 Prozent der Bevölkerung eine erste Impfdosis erhalten.

3-G in allen Lebenslagen

Italien ist das erste Land in der EU, das für die Teilnahme am gesamten produktiven, sozialen und kulturellen Leben die Zertifikatspflicht einführt. Seit dem Beginn der Impfkampagne vom März haben Draghi und sein Sonderbeauftragter Figliuolo aggressiv für die Immunisierung geworben und diese vorangetrieben – als Königsweg der Rückkehr zu normalen Verhältnissen sowie zur Wiedererlangung der Freiheit. Impfskeptikern und -verweigerern lässt Draghi ausrichten, wer sich nicht impfen lasse, bringe sich und andere, die dann angesteckt werden könnten, faktisch in Lebensgefahr.

Eine öffentliche Debatte oder ein Streit in der breiten Regierungskoalition über die möglichen Nachteile der Impfung oder über die mit dem Green Pass verbundenen Einschränkungen der Freiheitsrechte werden durch Draghis robusten Führungs- und Kommunikationsstil im Keim erstickt. Wenn der frühere Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega gelegentlich widerspricht, weicht Draghi einen halben Schritt, um hernach sogleich wieder drei Schritte vorwärtszumarschieren. Mit seiner Forderung nach kostenlosen Tests für ungeimpfte Arbeiter und Angestellte konnte sich Salvini nicht durchsetzen, obwohl er in der Frage von den Gewerkschaften unterstützt wurde. Nur eine Deckelung der Kosten für den Test auf 15 Euro für Erwachsene sowie auf acht Euro für Kinder und Jugendliche gestand Draghi zu. Die Leute sollten sich kostenlos impfen, nicht kostenlos testen lassen, lautet Draghis Argument.

Breite Unterstützung in der Bevölkerung

Draghi hat sich schon vor Wochen für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus ausgesprochen, sollte die Regierung ihr Impfziel bis Ende Oktober nicht erreichen. Eine Impfpflicht gilt schon seit Mai für Tätigkeiten im Gesundheits- und Pflegebereich. Wer nicht geimpft ist, muss eine Versetzung in einen Arbeitsbereich ohne Kontakt zu Patienten oder Pflegebedürftigen hinnehmen oder mit einer Dienstsuspendierung ohne Lohnfortzahlung rechnen, wenn sich kein alternativer Arbeitsplatz findet. Für den Bildungsbereich gilt seit Beginn des Schuljahres und des Herbstsemesters die Green-Pass-Pflicht für Lehrpersonen sowie auch für anderes Personal. Studenten müssen ebenfalls über den Green Pass verfügen.

Draghi erfährt breite Unterstützung in der italienischen Bevölkerung für seine Pandemiepolitik und für seine Regierungsführung insgesamt. Und er bekommt für sein beherztes Durchgreifen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus viel Lob von EU-Partnern. Der amerikanische Virologe Anthony Fauci pries Italiens Kampf gegen die Pandemie mittels Impfung und Green Pass jüngst als „Vorbild für die ganze Welt“.

Adblock test (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( Das italienische Impfwunder - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )
https://ift.tt/2XwIM4L
Deutschland

Bagikan Berita Ini

Related Posts :

0 Response to "Das italienische Impfwunder - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Post a Comment

Powered by Blogger.