Stand: 02.03.2021 17:10 Uhr
In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht sich der Virologe Christian Drosten dafür aus, beim Impfen bewährte medizinische Strukturen zu nutzen: Haus- und Betriebsärzte. Und er skizziert mögliche Folgen weitgehender Lockerungen.
Sein Eindruck sei, dass die Diskussionen über Impflogistik und Priorisierung auf die Öffentlichkeit mehr und mehr verwirrend wirkten, sagte Drosten. Auch entstehe auf der Planungsebene gerade eine Art deutscher Perfektionismus, der zentral und mit einem kleinteiligen Terminvergabesystem regeln wolle, wer wann an der Reihe ist, wenn ab dem zweiten Quartal deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité plädiert dafür, in logistische Planungen die einzubeziehen, die ihre Patienten auch einschätzen können: Haus- und Betriebsärzte. Diese wüssten besser als jeder andere, wer beispielsweise an Diabetes, starkem Übergewicht oder Bluthochdruck leide und dadurch ein höheres Risiko für eine Covid-19-Erkrankung trage als andere. "Man kennt seine Pappenheimer als Hausarzt. Dieser menschliche Faktor wird im Moment nicht genutzt", sagte Drosten.
AstraZeneca-Freigabe bald für alle?
Nach einem Individualschutz in Risikogruppen müsse schnell ein Bevölkerungsschutz aufgebaut werden, möglicherweise auch durch Anpassungen bei der Priorisierung - wie jetzt mit dem Vorziehen von Lehrern und Erziehern geschehen. "Ich mache mir Sorgen, wie lange das alles dauert, während die Uhr tickt", sagte Drosten. Man müsse alle Wege nutzen, um das Impftempo hochzufahren. Und dazu gehöre nicht nur die Strategie, bei ausreichenden Liefermengen die Erstdosis effizient zu verimpfen.
Für Mitte März wird die Zulassung des Vektorimpfstoffes von Johnson & Johnson in der EU erwartet, von dem jeweils nur eine Dosis benötigt wird. Zudem geht Drosten davon aus, dass die Ständige Impfkommission den AstraZeneca-Impfstoff bald für alle Altersgruppen freigeben wird. Laut aktuellen Studien zur Wirksamkeit nach der ersten Dosis aus Schottland, England und Israel schneidet das Vakzin bei älteren Menschen sogar etwas besser ab als in anderen Altersgruppen. Da dieser Impfstoff im Kühlschrank aufbewahrt werden kann, werde damit wohl auch "der Schalter für die Hausärzte umgelegt", so Drosten.
"Man kennt seine Pappenheimer als Hausarzt. Dieser menschliche Faktor wird im Moment nicht genutzt." Christian Drosten
DIVI-Modell: Vorsicht bei Lockerungen
Angesichts noch fehlender Herdenimmunität in Deutschland wies Drosten vor den Bund-Länder-Beratungen an diesem Mittwoch auch auf mögliche Folgen weitgehender Lockerungen hin. "Als Bürger verstehe ich vollkommen, dass man sich Lockerungen wünscht", sagte der Virologe. Aber: "Man muss auch sagen, was dann passieren wird: dass die Inzidenz wieder steigt." Für adäquat und realistisch hält Drosten eine Modellierung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Auf der Grundlage bestimmter Annahmen wie Impftempo, bereits vorhandene Immunität und Schutzwirkung von Impfungen kommt diese zu dem Schluss, dass die Intensivmedizin im Mai zwangsläufig wieder stark belastet würde, wenn man jetzt weitgehende Lockerungen zuließe.
Nicht mit saisonalem Effekt rechnen
Auf einen saisonalen Effekt, also mehr Sonne und Wärme ergibt weniger Infektionen, könne man nicht hoffen, so Drosten. Das werde mit Blick auf den vergangenen Sommer häufig als Totschlagargument benutzt, sei wissenschaftlich aber nicht haltbar. Die Infektionszahlen nach der ersten Welle waren niedriger und das Virus in der Bevölkerung ungleichmäßig verteilt.
Anteil britischer Variante bei etwa 50 Prozent
Derzeit haben Forscher vor allem die britische Virusvariante im Fokus. In Deutschland gehen aktuell etwa 50 Prozent der Neuinfektionen auf B.1.1.7 zurück, nur ein Prozent auf die südafrikanische Variante (B.1.3.5.1), schätzt Drosten. Während sich die britische Variante aufgrund ihrer leichteren Übertragbarkeit bei uns weiter verbreiten werde, gebe es momentan keinen Anlass zu der Befürchtung, dass auch der Anteil der Coronavirus-Infektionen mit der südafrikanischen Mutante stark steigen wird.
Mit dem Virus entwickelt sich der Immunschutz
Die Sorge vor immer neuen, wie jetzt in New York und Kalifornien aufgetauchten Varianten teilt der Virologe nicht. Das Virus entwickle sich, aber parallel dazu auch der Immunschutz. Sars-CoV-2 werde ein endemisches Virus, also eines, das bleibt, sagte Drosten: "Aber wir müssen uns nicht in alle Zukunft Sorgen machen vor bösen Varianten."
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