
Olaf Scholz vor seiner Befragung im Wirecard-Untersuchungsausschuss
Foto: Kay Nietfeld / dpaAm 12. Januar 2019 bekamen die Wirecard-Manager Burkhard Ley und Georg von Waldenfels eine E-Mail aus der deutschen Botschaft in Peking. »Soeben erreichte mich der aktuelle Verhandlungsstand«, schrieb der Finanzattaché, ein Entsandter des Bundesfinanzministeriums. Darunter kopierte er zwei Sätze aus einer geplanten Abschlusserklärung für den bevorstehenden deutsch-chinesischen Finanzdialog. Peking wollte demnach »fähige und willige« Zahlungsdiensteister aus Deutschland auf den heimischen Markt lassen.
Der kurz darauf wortgleich beschlossene Passus sorgte für Begeisterung bei Wirecard, denn er las sich wie maßgeschneidert für den Zahlungsdienstleister. Auch der Finanzattaché war guter Dinge. »Diesen Erfolg wird unser Minister auch verkaufen wollen, wenn aus ihrer Sicht nichts dagegen spricht«, schrieb der Diplomat. »Ich denke diese hochrangige Erwähnung wird Wirecard stark zum Nutzen sein.« Beim Dax-Konzern gab es keine Einwände. »Das sind wirklich sehr gute Nachrichten und der Minister kann diesen tollen Erfolg natuerlich in jedem Fall erwaehnen«, antwortete von Waldenfels.
Wirecard ist pleite, untergegangen im größten Bilanzskandal der Nachkriegsgeschichte. Der in den Mails erwähnte Minister aber ist im Amt und möchte im September für die SPD vom Finanzressort ins Kanzleramt wechseln. Am Donnerstag musste sich Olaf Scholz vom Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags befragen lassen.
Auf den Auftritt hatte das Gremium letztlich fast ein halbes Jahr lang hingearbeitet. Denn bei keinem anderen Spitzenpolitiker laufen so viele Fäden des Skandals zusammen wie bei Scholz. Er ist unter anderem Dienstherr der Finanzaufsicht Bafin, die den Betrug bei Wirecard trotz vieler Warnsignale nicht verhinderte. Trägt der Vizekanzler also persönliche Verantwortung für den Skandal?
»Nein«, sagt Scholz ohne Zögern. Auch seine Staatssekretäre seien »gute Leute« und nicht verantwortlich. In einer vorbereiteten Erklärung, die Scholz zu Beginn verliest, ist die Entlastung noch umfassender: »Die Verantwortung für diesen hochkriminell angelegten Betrug trägt nicht die Bundesregierung.«
Das ist eine beachtliche Aussage – auch, weil die Regierung den Skandal angesichts des aufziehenden Wahlkampfs immer unterschiedlicher deutet. So verweist man in der SPD gerne auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die Wirecards Zahlen lange abgsegneten und deren Aufsicht bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angesiedelt ist. Altmaier habe am Vortag dazu ein »fahriges Statement« abgegeben, lästert SPD-Obmann Jens Zimmermann.
Wird die Opposition arbeitslos?
Umgekehrt knirscht es bei Scholz' Befragung schnell mit den Unions-Vertretern. Als ihn CDU-Obmann Matthias Hauer auffordert, lauter zu reden, lässt ihn Scholz wissen, er werde so laut wie immer sprechen. Später wird Hauer Vorwürfe gegen Scholz erheben, weil der Mails zu Wirecard von einer privaten Adresse verschickt und so dem Ausschuss vorenthalten habe. SPD-Mann Zimmermann spricht von einem »politischen Stunt, den sich unser Noch-Koalitionspartner hier geleistet hat«.
Angesichts solcher »emotionalen Spannungen« in der Koalition sei der »Job der Opposition schon zur Hälfte erledigt«, spottet Linken-Obmann Fabio De Masi. Scholz quittiert das mit einem Lachen, das Markus Söder möglicherweise als »schlumpfig« bezeichnen würde.
Nicht so lustig sind die Fehler, die der Aufsicht bei Wirecard passierten. Statt Warnhinweisen nachzugehen, verhängte die Bafin ein schlecht begründetes Leerverkaufsverbot für Aktien des Konzerns, zeigte einen Journalisten der »Financial Times« wegen des Verdachts auf Insiderhandel an und rangelte bis zur Pleite mit der Regierung Niederbayern darüber, wer Wirecard auf Geldwäsche kontrollieren sollte. Auch vor diesem Hintergrund ist die umfassende Selbstentlastung des Zeugen Scholz beachtlich.
Angeblich war der Minister in wichtige Aspekte des Wirecard-Skandals gar nicht oder erst spät eingebunden. So schilderten es vor seinem Auftritt bereits zahlreiche Mitarbeiter, darunter die Staatssekretäre Jörg Kukies und Wolfgang Schmidt. Beide präsentierten sich den Abgeordneten als detailversessene Kenner des Skandals. Ging es aber um die Einbindung ihres Vorgesetzten, wurden sie auffällig wolkig.
Fraglos gab es für Scholz als Finanzminister und Vizekanzler noch andere Themen als Wirecard, erst Recht seit Beginn der Coronapandemie. Gerade in dieser pflegte der Kanzlerkandidat jedoch sein Image als vorausschauender Krisenmanager, der sich um alles kümmert – von Wirtschaftshilfen bis zu Impfplänen. Schon vor der Coronakrise erläuterte Scholz im kleineren Kreis gerne, wie allerlei Probleme zu lösen seien, auch abseits seines Ressorts. Zu diesem Image passt es nicht so recht, dass Scholz vom historischen Skandal in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich angeblich so wenig mitbekam.
War man im Finanzministerium schlicht geblendet von der Hoffnung auf den Digitalkonzern Wirecard und schaute deshalb nicht genauer hin? Scholz bezeichnet das im Ausschuss als »absurdes Märchen«. Doch Hinweise auf Wirecards erfolgreiche Lobbyarbeit finden sich immer wieder – so wie die begeisterte Mail des Finanzattachés in China. Auch sie war ursprünglich nicht Teil der Ausschuss-Akten, sondern findet sich in Daten von Wirecard Ex-Vorstand Ley.
»Diese E-Mail, die sie jetzt schildern, kenn ich nicht«, sagt Scholz, als ihn Linken-Obmann De Masi am Donnerstag auf die Nachricht anspricht, laut der er einen Erfolg für Wirecard gerne »verkaufen« wollte. Wirecard habe bei seinen Gesprächen in China keinerlei Rolle gespielt. Wenig beizutragen hat Scholz auch zu einer anderen Nachricht des Botschaftsmitarbeiters ans Finanzministerium. Darin heißt es, die Vereinbarung zwischen Scholz und seinem Amtskollegen beim Finanzdialog werde in China offenbar »als Weisung aufgefasst […] der Wirecard AG keine Steine in den Weg zu legen«. Wie man zu dieser Einschätzung kam? »Das müssten sie die Botschaft fragen«, sagt der Minister.
Scholz Befragung endet am frühen Abend – und damit deutlich früher als viele andere Sitzungen. Trotz aller Kritik kommt der Minister am Ende glimpflich durch die Befragung. Das räumt auch De Masi ein, der sich seit Langem an Scholz und dem Thema Wirecard abarbeitet. Offenbar sei dieser Skandal für Scholz »wie eine Kriegsverletzung«, sagt der Linken-Politiker. »Er humpelt, aber er stürzt nicht.«
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