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Grüne wollen Boris Palmer ausschließen - Süddeutsche Zeitung - SZ.de

Boris Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen, einer Stadt mit 90 000 Einwohnern in Baden-Württemberg. Er selbst sieht sich aber nicht nur als Lokalpolitiker, sondern vor allem als wichtiger politischer Ideengeber fürs ganze Land. Mit bewusst provozierend formulierten Botschaften auf Facebook, die mit Verkürzungen und Zuspitzungen arbeiten, sichert er sich immer wieder maximale Aufmerksamkeit. Die anschließende Relativierung, dass alles ganz anders gemeint sei, gehört zum Handwerkszeug.

Am Donnerstagabend hat sich Palmer auf seiner Facebook-Seite zur Diskussion über ein Auftrittsverbot für den Ex-Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo zu Wort gemeldet, um diesen in Schutz zu nehmen. In einem Kommentar zu seinem Text verwendete Palmer nicht nur das Stilmittel der Ironie ("Der Aogo ist ein schlimmer Rassist."), er setzte in einem sexualisierten Kontext auch ein Wort ein, das heute als rassistische Bezeichnung für Schwarze gilt. Zur Begründung verwies er auf einen nicht-verifizierten Facebook-Kommentar, in dem ohne jeden Beleg behauptet worden war, Aogo habe für sich selbst das N-Wort benutzt. Palmers Sichtweise: Er habe ja nur zitiert. Mit seinem Facebookbeitrag, so Palmer, habe er einen absurden Rassismusvorwurf soweit ins Groteske steigern wollen "dass unmittelbar ersichtlich sein sollte, wie abwegig das ist".

Bei den Grünen galt Boris Palmer mal als großes Talent. Mit 28 zog er in den Landtag von Baden-Württemberg ein, mit 31 holte er bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart beachtliche 21,5 Prozent, mit 34 wurde er dann Oberbürgermeister von Tübingen. Und als vor gut zehn Jahren erbittert über das Bahnprojekt "Stuttgart 21" gestritten wurde, beeindruckte er viele als sachkundiger Diskutant. Der heute 48-Jährige wurde sogar mal als möglicher Nachfolger von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident gehandelt.

Die Liste mit Palmers Provokationen ist lang

Die Entfremdung von den Grünen begann im Flüchtlingsjahr 2015, als sich Palmer gegen seine Parteilinie stellte. Er wurde zu einem Medienstar - und hat das Feld grüner Grundüberzeugungen seitdem immer wieder bewusst verlassen. Mal ärgerte er sich öffentlich über einen Radfahrer - und schloss aus dessen Hautfarbe, dass es sich um einen Asylbewerber gehandelt hatte. Dann kritisierte er eine Werbung der Deutschen Bahn, bei der überwiegend nicht-weiße Fahrgäste, meist Prominente, zu sehen waren: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?"

Schon im April 2020 war die Geduld vieler Grüner mit Palmers rhetorischen Zündeleien aufgebraucht, wurde sein Ausschluss aus der Partei gefordert. Damals ging es um eine Aussage zu Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. "Ich sag es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären." Bundes- und Landespartei hatten danach angekündigt, Palmer bei einer erneuten Kandidatur in Tübingen und bei weiteren politischen Tätigkeiten nicht mehr zu unterstützen, weder finanziell noch logistisch. Weitere interne Sanktionen würden geprüft.

Nun hat der Landesparteitag der Grünen in Stuttgart mit großer Mehrheit beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen Palmer einzuleiten. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußerte sich am Rande der Veranstaltung zur neuesten Aufregung um den Tübinger Oberbürgermeister: "Solche Äußerungen kann man einfach nicht machen. Das geht einfach nicht", sagte der grüne Regierungschef gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. "Ich finde es auch eines Oberbürgermeisters unwürdig, dauernd mit Provokationen zu polarisieren." Dabei ging es auf der digitalen Veranstaltung am Samstag eigentlich um den Koalitionsvertrag, der Antrag wurde nach Palmers neuestem Facebook-Beitrag spontan auf die Tagesordnung gehoben. Palmer hatte die Gelegenheit, sich am Nachmittag zuzuschalten und in einer kurzen Rede zu verteidigen. Dort erklärte er noch einmal, dass es sich um Ironie gehandelt habe. Auf das Parteiordnungsverfahren freue er sich, sagte er, weil er damit die Gelegenheit habe, sich einem Schiedsgericht ausführlich zu erklären. "Ich bin heute mehr denn je der Meinung, dass diese Partei mich braucht."

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