Es sind dramatische Szenen, die sich am Montag auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul abspielten. Auf Aufnahmen in den sozialen Medien ist zu sehen, wie verzweifelte Zivilisten versuchen, in Militärflugzeuge der USA zu gelangen, mit denen amerikanische Botschaftsmitarbeiter und Ortskräfte evakuiert werden sollen. Ein Video zeigt, wie sich mehrere Menschen offenbar aus Angst vor den Taliban-Kämpfern an ein Flugzeug klammern.
Bis nach Kabul ist die radikalislamische Taliban vorgerückt, am Sonntag nahmen Kämpfer den Präsidentenpalast ein. Nach dem Eroberungsfeldzug wird in den kommenden Wochen und Monaten mit Hunderttausenden Flüchtlingen gerechnet, die sich auf den Weg in die Nachbarländer, aber auch nach Europa machen könnten. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) sind bereits seit Anfang des Jahres mehr als 330.000 Menschen vor den Taliban geflohen, die meisten von ihnen innerhalb des Landes.
Nun droht in ganz Afghanistan eine islamistische Gewaltherrschaft. Insbesondere Mädchen und Frauen sind von Gewalt und Unterdrückung durch die Taliban bedroht. Wie soll Deutschland mit dieser humanitären Lage umgehen? Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung des CDU-Präsidiums, dass Deutschland alles tun sollte, um den Nachbarländern Afghanistans dabei zu helfen, „die Geflüchteten zu unterstützen“. Für CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ist klar: „Wir werden die Frage Afghanistan nicht durch Migration nach Deutschland lösen können.“
Humanitäre Hilfe „diesmal rechtzeitig“
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte mit Blick auf die Flüchtlingskrise vor sechs Jahren: „Wir müssen diesmal rechtzeitig in der Region, in den Herkunftsländern humanitäre Hilfe leisten. 2015 darf sich nicht wiederholen.“ Auf mögliche Kontingente für afghanische Schutzsuchende angesprochen, sagte der CDU-Vorsitzende: „Ich glaube, dass wir jetzt nicht das Signal aussenden sollten, dass Deutschland alle, die jetzt in Not sind, quasi aufnehmen kann“, sagte er. „Die Konzentration muss darauf gerichtet sein, vor Ort, jetzt diesmal rechtzeitig – anders als 2015 – humanitäre Hilfe zu leisten.“
CDU-Chef Laschet fordert breit angelegte Luftbrücke
Es sein wichtig, dass die Bundeswehr neben Deutschen und Ortskräften auch etwa Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan holt. Die EU müsse sich darauf vorbereiten, so Laschet, dass es Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa gebe.
Quelle: WELT
In Bezug auf die geplanten Evakuierungen durch die Bundeswehr sprach sich Laschet für eine breit angelegte Luftbrücke aus. Diese dürfe sich nicht nur auf Ortskräfte und deutsche Staatsangehörige beziehen, „sondern muss auch aktive Frauen-, Menschenrechtlerinnen, Aktivistinnen, Bürgermeisterinnen und andere umfassen“, sagte Laschet. „Das muss im Mandat mit vermerkt sein.“
Eine ähnliche Forderung wurde vom SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, erhoben. Zudem sei Hilfe für Schutzsuchende notwendig, die innerhalb des Landes oder in Richtung Pakistan und Iran fliehen. Mützenich forderte eine Koordination durch die Nato. „Vielleicht ist die Durchsetzungskraft hier viel höher, international stärker zusammenzuarbeiten, damit genügend Flüchtlinge in ganz vielen Ländern auch aufgenommen werden.“
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte am Montag, dass es bei der Aufnahme vor allem darum gehe, die Nachbarländer Afghanistans zu unterstützen. Es dürfe sich nicht der Fehler wiederholen, diese Länder alleine zu lassen. Laut Mützenich müssten mehr als 10.000 Menschen aus Afghanistan in Sicherheit gebracht werden, darunter sind die Ortskräfte der Bundeswehr und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. Kanzlerin Merkel sprach im CDU-Präsidium inklusive der Familien ebenfalls von rund 10.000 Menschen, die nun in Zusammenarbeit mit den USA evakuiert werden müssten.
Vertiefte Gespräche mit Türkei?
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte bereits am Samstag für die Aufnahme afghanischer Schutzsuchender in Europa plädiert. Dabei dürfe man nicht warten, bis alle 27 EU-Länder bereit seien, sagte Baerbock im Deutschlandfunk. Man müsse sich vielmehr mit jenen europäischen Ländern zusammenschließen, die das tun wollten, und mit den USA und Kanada klare Kontingentregeln vereinbaren. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, sagte WELT: „Das Gebot der Stunde ist es, die Menschen aus Afghanistan zu holen, die sich in Lebensgefahr befinden, weil sie uns geholfen haben.“ Da die Grenzen gerade alle dicht und militarisiert seien, stelle sich die Frage erst mal nicht, wie viele Menschen sich auf den Weg machen werden.
Kramp-Karrenbauer – „So viele Menschen wie möglich rausholen“
Die Bundeswehr hat zusammen mit Verbündeten eine Luftbrücke eingerichtet. Über den Afghanistaneinsatz wird diskutiert werden müssen, die Evakuierungen seien jetzt aber wichtiger, so die Verteidigungsministerin.
Quelle: WELT
In einem Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion heißt es: „Zum besonderen Schutz von Frauen in Afghanistan fordern wir Freie Demokraten die zügige Einrichtung eines Sondervisa-Programms für Afghaninnen, die durch die Ausweitung des Herrschaftsbereichs der Taliban besonders von Verfolgung und Gewalt bedroht sind.“ Zudem sollte die Europäische Union in Gesprächen mit Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan die Einrichtung sicherer Fluchtkorridore für afghanische Flüchtlinge beschließen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für vertiefte Gespräche mit der Türkei zur Unterbringung der Menschen einzusetzen.
Lesen Sie hier das gesamte Papier der FDP-Bundestagsfraktion.
„Die Machtübernahme durch die Taliban wird absehbar zu einem weiteren Exodus führen“, erwartet Thorsten Frei (CDU), Vize-Chef der Unions-Bundestagsfraktion. „Deutschland und die internationale Gemeinschaft müssen alles dafür tun, um die Nachbarstaaten bei der Aufnahme zu unterstützen und die Versorgung der Flüchtlinge heimatnah in der Region sicherzustellen“, sagte Frei WELT. 2015 sei die Unterversorgung der Flüchtlingslager in den syrischen Nachbarstaaten dafür verantwortlich gewesen, dass sich Menschen notgedrungen auf den Weg nach Europa machten. „Eine ähnliche Entwicklung darf sich nicht wiederholen.“
AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel forderte ein „Asylmoratorium, das Raum für einen Übergang zum Null-Asyl-Modell nach dänischem Vorbild“ schaffe. „Wir müssen zuerst an die Sicherheit der deutschen Bürger denken. Das Asylrecht muss daher ausgesetzt, die Grenzen geschützt und Migranten ohne Einreiseerlaubnis zurückgewiesen werden“, sagte sie. Das Asylrecht für politisch Verfolgte ist jedoch ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht.
Die ersten Bundesländer erklärten sich inzwischen zur Aufnahme Asylsuchender bereit. Gemeinsam mit anderen Bundesländern würde Berlin ein „Kontingent von Flüchtlingen“ aufnehmen, „die sich in Afghanistan für den Aufbau der Demokratie eingesetzt haben“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) dem „Tagesspiegel“. „Wir brauchen dafür dringend Entscheidungen auf Bundesebene.“ Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte WELT: „Auch Thüringen sieht die Notwendigkeit einer zügigen Festlegung des Bundes, Menschen aus Afghanistan in Deutschland aufzunehmen, und würde selbstverständlich zur Aufnahmeverpflichtung stehen.“
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach Versuche der Bundesländer gestoppt, eigenständig Asylsuchende aufzunehmen. Im Aufenthaltsgesetz heißt es, dass die Bundesländer Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis erteilen dürfen, wenn es dafür humanitäre Gründe gebe. Weiter heißt es allerdings: „Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.“ Im September vergangenen Jahres war eine Initiative von Berlin und Thüringen im Bundesrat gescheitert, mit der die erforderliche Zustimmung des Innenministeriums abgeschafft werden sollte.
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