Angesichts der nachlassenden Impfbereitschaft planen 7 von 16 Bundesländern, vorzeitig einen Teil ihrer Impfzentren zu schließen. Die hälftige Finanzierung durch den Bund war ursprünglich bis Ende September vorgesehen. Dies geht aus einer WELT-Abfrage bei den Gesundheitsministerien der Länder hervor.
So sollen etwa in Baden-Württemberg am 15. August alle acht zentralen Impfzentren schließen. Gleichzeitig wird der Standort einiger Kreisimpfzentren verlegt oder gebündelt. Vergangene Woche hat bereits das größte Impfzentrum des Landes im Stuttgarter Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle dicht gemacht. Nach Umbau- und Renovierungsarbeiten sollen dort ab September wieder Veranstaltungen stattfinden.
In Berlin sind aktuell noch fünf von ursprünglich sechs Impfzentren in Betrieb. Nach jetzigem Planungsstand wird am 19. August ein weiteres Impfzentrum schließen, am 31. August zusätzlich noch zwei. In Hamburg gibt es nur ein großes Impfzentrum – es schließt am 31. August.
In Bremen ist eines von drei Impfzentren bereits Ende Juni zugemacht worden, ein weiteres folgt Ende des Monats. Grund laut Pressestelle des Gesundheitssenats: „kein weiterer Bedarf“. Nirgendwo in Deutschland haben sich bisher so viele Menschen impfen lassen wie in Bremen – gemessen an der Einwohnerzahl: Mehr als 70 Prozent sind hier bereits erstgeimpft, über 62 Prozent doppelt.
In Brandenburg wurden bereits Ende Juli zwei Impfzentren in Elsterwerda und Oranienburg geschlossen, in Betrieb bleiben zwölf weitere. In Bayern sind zwei der 100 Impfzentren im Land nicht mehr aktiv. Der Fokus liege „auf dem Angebot niederschwelliger Impfungen vor Ort durch die Mobilen Impfteams, zum Beispiel auf Marktplätzen, in Einkaufszentren“, heißt es aus dem bayerischen Gesundheitsministerium.
In Thüringen werden drei der vier überregionalen Impfzentren bis Ende August ihren Betrieb einstellen, lediglich das Impfzentrum in der Messehalle Erfurt bleibt. „Grund sind zum einen die auslaufenden Mietverträge – die Hallen werden für andere Zwecke wie Schulsport oder Veranstaltungen benötigt – und zum anderen auch die teilweise inzwischen zu geringe Auslastung der Kapazitäten“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
Wie es ab Oktober weitergehen soll, ist offen
Die 29 wohnortnahen, kleineren Impfstellen blieben zunächst bestehen, „um auch weiter vor Ort präsent zu sein“. Das Bundesland liegt in der bundesweiten Impfquoten-Statistik auf dem vorletzten Platz: Lediglich 51,5 Prozent sind hier doppelt geimpft, 55,7 Prozent haben bisher eine Spritze bekommen.
Die verbliebenen neun Bundesländer teilen auf Anfrage mit, ihre Impfzentren bis Ende September betreiben zu wollen – zum Teil jedoch nicht mehr jeden Tag und mit reduzierten Öffnungszeiten. Wie es ab Oktober weitergehen soll, ist vielerorts noch völlig offen. Dabei dürfte die aktuelle Impfflaute nicht mehr lange anhalten: Laut einem Beschluss der Gesundheitsminister der Länder von Anfang der Woche sind ab September Auffrisch-Impfungen vorgesehen – und zwar für Millionen von Menschen.
So sollen zunächst vulnerable Gruppen mindestens sechs Monate nach ihrer zweiten Impfung eine dritte Dosis bekommen. Darunter fallen etwa Bewohner von Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Patienten mit Immunschwäche oder Immunsuppression und Höchstbetagte und Pflegebedürftige, die zu Hause leben. Die meisten von ihnen sollen von mobilen Teams aufgesucht werden.
Hinzu kommt jedoch noch eine weitere Gruppe, die bisher in der öffentlichen Debatte eher unter dem Radar lief. So soll den Gesundheitsministern zufolge ab September auch all denjenigen eine weitere Dosis angeboten werden, die sich bereits vollständig mit einem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca oder Johnson & Johnson haben impfen lassen – unabhängig davon, ob sie zu einer vulnerablen Gruppe gehören oder nicht. Die weitere Dosis soll dann mit einem mRNA-Impfstoff erfolgen, also von Biontech oder Moderna.
Auf Nachfrage teilt das Bundesgesundheitsministerium mit, dass es sich hierbei um 3,3 Millionen Menschen handele, die bereits doppelt mit Dosen von AstraZeneca geimpft worden sind – und um 2,4 Millionen, das Vakzin von Johnson & Johnson bekommen haben. Insgesamt sind es also mindestens 5,7 Millionen Menschen, denen ab September eine Auffrisch-Impfung angeboten werden soll. Unklar ist jedoch noch, wie lange ihre sogenannte Impfserie zurückliegen muss – bei den Risikogruppen sind es mindestens sechs Monate.
In vielen Bundesländern ist zudem ebenfalls noch ungeklärt, ob die Auffrisch-Impfungen ab Oktober komplett in den Arztpraxen und von den mobilen Teams gestemmt werden sollen – oder ob die Impfzentren doch noch einspringen. Die Möglichkeit dazu bestünde: Ende Juni einigten sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern darauf, dass die Impfzentren ab Oktober „bei Bedarf in entsprechend deutlich reduziertem Umfang“ weiterbetrieben werden könnten.
Dies solle etwa durch den sogenannten Stand-by-Betrieb geschehen, der durch „Rückfall- und Notfalloptionen“ sicherstellt, dass die Impfkapazitäten bedarfsgerecht in kurzer Zeit wieder hochgefahren werden können. Die Infrastruktur von stillgelegten Impfzentren könne dafür „in gewissem Umfang vorübergehend eingelagert werden“. Diese Option gebe es vorerst bis zum 30. April 2022. Die Kosten würden sich auch wie bisher Bund und Länder je zur Hälfte teilen.
Auf Anfrage können bisher nur zwei Bundesländer mitteilen, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Das Gesundheitsministerium des Saarlands etwa richtet aus, dass zwei der drei Impfzentren ab Oktober in den Stand-by-Modus versetzt würden. Noch konkreter sind die Pläne in Rheinland-Pfalz: Dort sollen neun Impfzentren in den Stand-by-Modus gehen – vier bis zum 30. April 2022 und fünf bis zum 31. Dezember dieses Jahres.
Bei Letzteren sollen im Anschluss die Möbel der Impfzentren bis zum 30. April 2022 „in der Kommune eingelagert“ werden. „Das Ganze als Vorsorge auf wieder steigende Inzidenzen“, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Doch die grundlegende Frage – wann und für wen genau die Auffrischimpfungen tatsächlich medizinisch notwendig sind – ist wissenschaftlich umstritten. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern fassten ihren Beschluss, obwohl zu der Frage noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) vorliegt. Stiko-Chef Thomas Mertens sagte vor wenigen Tagen, dass hierzu noch Daten fehlten.
Dabei gehe es vor allem um zwei Aspekte: ob die messbare Immunantwort im Labor nachlasse und ob trotz Impfung vermehrt Infektionen mit Erkrankung aufträten. Der Virologe betonte jedoch weiter, dass nichts dagegen spreche, wenn ein Staat aus Fürsorgepflicht solche Impfangebote mache – auch ohne Evidenz. Aufgabe der Stiko seien Empfehlungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, hält Auffrischimpfungen für diejenigen, die sich bisher mit AstraZeneca haben impfen lassen, „anhand der aktuellen Studienlage aus England nicht für nötig“. Kürzlich sagte sie dazu WELT:
„Der Impfstoff von AstraZeneca ist besser als sein Ruf. Die Wirksamkeit ist nur wenig schwächer als bei den mRNA-Impfstoffen, und es besteht nach zwei Impfungen ein vergleichbar hoher Schutz gegen Injektion und symptomatische Erkrankung.“
Wie also werden Ärzte ab September mit den Auffrischimpfungen umgehen, falls sich die Stiko auch bis dahin nicht positioniert haben sollte?
Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hält die Auffrischungsimpfungen für „klar definierte Gruppen“ für sinnvoll – kritisiert aber das Vorpreschen der Politik. „Wir brauchen eine klare Vorgabe der Stiko. Diese Vorgabe aus der Wissenschaft muss dann politisch geregelt werden. Nicht umgekehrt.“
Israel hingegen hat als weltweit erstes Land bereits vergangenen Sonntag begonnen, allen Interessierten über 60 Jahren eine dritte Dosis anzubieten – vorausgesetzt die zweite Dosis liegt mindestens fünf Monate zurück. Seit Mitte Juli werden zudem Immungeschwächte erneut geimpft, etwa aufgrund einer Organtransplantation, Krebs oder Niereninsuffizienz.
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