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Secondhand Mode ist gefragter denn je - erst recht seit der Krise - NZZ Bellevue

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Wenn es Verlierer gibt, gibt es meist auch Gewinner – in einer Krise ist das immer so. Nicht umsonst gibt es den Begriff Krisengewinnler, der immer einen etwas negativen Beigeschmack hat; nach Bereicherung klingt. Dabei kann aus einer Krise auch etwas Positives erwachsen, und wer das rechtzeitig erkennt, kann zum Krisengewinnler werden. So ist es im Fall von Vintage-Shops, online und im stationären Handel. Sie erleben gerade einen regelrechten Boom, während reguläre Einzelhändler, Modelabels und Shops zu kämpfen haben.

Wobei Vintage gar nicht mehr der richtige moderne Begriff dafür ist: Heute spricht man von Resale. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Luxussparte der Vintage-Mode, einem Terminus, um hochwertige Secondhand-Kleidung von Luxusmarken zu beschreiben. Grosse bekannte Online-Shops, die den Resale-Begriff geprägt haben und die den Markt der Luxus-Secondhand-Mode beherrschen, sind beispielsweise Vestiaire Collective und The Real Real, und seitdem Streetwear und Sneaker zu gefragten Luxusgütern wurden, auch StockX.

Mittlerweile geht es bei Resale aber nicht mehr nur um Luxus, sondern generell um Kleidung, die gebraucht wiederverkauft wird. Und während Vintage sich früher auf Retro-Stücke aus Jahrzehnten, die mindestens zehn Jahre vergangen sind, bezog, wird die Gebrauchsspanne von Kleidung im Zeitalter von Fast Fashion immer kürzer. Während Kleidungsstücke früher jahrelang getragen wurden, werden sie heute schon nach einigen Jahren oder sogar Monaten abgegeben.

Früher wurde gebrauchte Kleidung fast ausschliesslich auf Ebay gehandelt. Mittlerweile gibt es unzählige Anbieter, von Kleiderkreisel oder der speziellen Schweizer Version Kleiderkorb bis hin zu Depop, wo Millionen Teenager und Millennials ihre Looks über künstlerisch gestaltete Profile weiter verkaufen – eine Art Instagram des Resale-Business.

In der Schweiz ist Rea Bill mit ihrem Shop Reawake Pionierin in Sachen Online-Resale im Luxusbereich. Auf ihrer Website verkauft sie gebrauchte Taschen von Chanel, Schuhe von Balenciaga und Sonnenbrillen von Miu Miu. Entstanden ist die Website aus ihrem stationären Shop vor einigen Jahren als nächster logischer Schritt. Während des Lockdown profitierte sie von dieser Weitsicht, der Online-Shop «florierte», sagt sie, weil «viele High-End- Geschäfte keinen Online-Verkauf anbieten».

Dass all das durch die Krise zusätzliches Wachstum erfährt, lässt sich so einfach erklären, wie man es sich auf den ersten Blick denkt, wenn über das eigene Verhältnis zu Kleidung und Shopping während der Lockdown-Zeit nachgedacht wird. Die Resale-Website Thredup fand das in einer gross angelegten Studie voller Datenanalysen heraus. Diese besagt unter anderem, dass im April – also der Hochphase des Lockdown in den meisten Ländern – mehr als sechs Mal so viele «Clean Out Kits» von Thredup, mit denen Kleidung zu ihnen geschickt werden kann, orderten.

In einer Umfrage stellte die Website ausserdem fest, dass in der Lockdown-Zeit doppelt so viele Menschen ihren Kleiderschrank aussortierten wie vorher. Im Mai surften 2,2 Millionen Menschen auf Thredup – das ist rund ein Drittel mehr als in der Zeit vor der Pandemie.

Der Bedarf nach Resale-Kleidung ist also deutlich gestiegen – sowohl danach, alte Kleidung loszuwerden als auch neue Kleidung gebraucht zu kaufen. Beides insbesondere online, bequem von zu Hause aus. Auch hier gilt wieder: Die Krise sorgt für die Beschleunigung einer Tendenz, die schon vorher da war.

Das sieht auch die Zürcher Vintage-Händlerin Michèle Roten so, die den Shop The New New betreibt. «Wir halten Vintage und Secondhand nicht für zeitgeistig, sondern den Zeitgeist für endlich so weit, zu erkennen, dass der Handel mit Gebrauchtem der einzig richtige Weg ist in unserer Konsum- und Überflussgesellschaft», sagt sie. «Es gibt schon alles, und davon mehr als genug – jetzt müssen wir schauen, dass die Sachen so lange wie möglich im Umlauf bleiben.»

Durch die Krise habe sich für sie höchstens verändert, dass die Kunden jetzt bewusster ihr Geld ausgeben und kleine Shops noch lieber unterstützen würden. Während des Lockdown hat The New New via Instagram verkauft, aber sobald es wieder möglich war, hat Roten lieber wieder auf den Verkauf im Shop gesetzt. Sie meint: «Im «echten» Leben macht es schon mehr Spass, vor allem mit dem sehr schnellen Durchlauf der Stücke, den wir bei uns haben. Und wir mögen es, mit unseren Kunden zu reden und ihnen in die Augen zu schauen.»

Die Studie von Thredup, in der unter anderem auch die Unternehmensberatung McKinsey zitiert wird, bestätigt diese Hinwendung zum Resale, aber insbesondere auch für die Online-Welt. Der Online-Secondhand-Markt soll demnach zwischen 2019 um 2021 um 69 Prozent wachsen, während der stationäre Handel um 15 Prozent sinken soll, und während die Umsätze von anderen Online-Shopping-Destinationen um 24 Prozent sanken, nahmen die von Thredup seit dem Lockdown um 20 Prozent zu. Kein Wunder: Von den in der Studie befragten Personen gaben 44 Prozent an, in den nächsten 12 Monaten mehr Secondhand kaufen zu wollen.

Natürlich lautet – neben niedrigeren Preisen bereits getragener Mode – das grosse Schlagwort «Nachhaltigkeit». Der Wunsch vor allem sehr bewusst shoppender Kunden von Luxusmode danach hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Luxus-Secondhand-Markt derzeit vier Mal schneller wächst als der primäre Luxusmarkt – Ersterer verzeichnet eine Wachstumsrate von 12 Prozent, Letzterer von 3 Prozent. Der Luxus-Secondhand-Markt wird zurzeit auf 24 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Neben dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit spielen aber auch zwei weitere Aspekte eine Rolle. Erstens: der Trend zu Archiv-Fashion, also die Jagd nach besonderen, seltenen Stücken aus besonderen Kollektionen, Kooperationen oder sogar Capsule-Collections (das hat vor allem auch die Streetwear-Revolution befeuert). Zweitens: die Tatsache, dass Luxusmode wegen ihrer hohen Qualität auch getragen noch sehr gut funktioniert.

Rea Bill von Reawake sieht das ähnlich: «Vintage-Stücke sind einzigartig. Menschen mit wenig Berührungspunkten zu High-End-Secondhand denken vielleicht primär an einen günstigeren Preis, aber für uns steht vielmehr die Einzigartigkeit und Nachhaltigkeit im Vordergrund. Wir haben jedes Stück genau einmal, und das Sortiment wechselt täglich.» Und natürlich erwähnt sie auch den Nachhaltigkeitsgedanken: «Es ist vielen Kunden immer wichtiger, dass ihr Einkaufen der Umwelt nicht zu sehr schadet.»

Wie die Luxusmarken selbst damit umgehen, dafür gibt es momentan noch kein schlüssiges Konzept. Auch wenn frühere Designs immer wieder zitiert und zu Verkaufsschlagern werden – so wie 2000er Klassiker wie die Dior Saddle Bag oder diverse Sonnenbrillenmodelle von Gucci –, gibt es keines der grossen Modehäuser, das Resale aktiv in-house betreibt.

Möglicherweise gibt es in Zukunft aber vonseiten der Luxus-Stores mehr Aktivität in dieser Richtung: Vor einigen Jahren noch waren Outlet-Shops verschrien, mittlerweile sind sie selbstverständlicher Teil des Luxus-Shoppings. Möglich, dass es auch mit Secondhand-Luxusmode so sein wird. Ein erstes Konzept dafür hat in Deutschland jetzt der Luxus-Store Anita Hass vorgelegt: Unter dem Dach «Yesterday Domani» können dort bei Anita Hass gekaufte Stücke wieder verkauft und wieder gebraucht gekauft werden.

Bill ist auch eine besondere Kooperation eingegangen. Statt wie früher im eigenen Shop stationär zu verkaufen, gibt es nun einen Shop-in-Shop im Zürcher Luxuskaufhaus Jelmoli. «Die Kooperation – die erste dieser Art in der Schweiz – bringt High-End-Secondhand in das Herz der Stadt. Für viele sind es die ersten Berührungspunkte mit Secondhand, auch wenn sie unsere Schätze erst auf den dritten Blick als gebraucht wahrnehmen», erklärt Bill.

Sie findet, dass neu nicht immer besser ist. Was sie derzeit für Gespräche mit Kunden führe? «Zum Beispiel über den Wert, Sinnhaftigkeit und Berechtigung von Secondhand. Oder über die Frage, ob die Qualität früher doch einfach besser war.» Was in ihren Augen – natürlich – der Fall ist.




August 20, 2020 at 09:26PM
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