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Rettet zuerst den Kapitän - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wenige Minuten nach 18 Uhr tritt Paul Ziemiak am Sonntagabend in der CDU-Parteizentrale auf. Er braucht nur kurz, um das Abschneiden der CDU bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz „in aller Klarheit“ zu kommentieren. „Das ist heute kein guter Wahlabend für die CDU.“ In beiden Ländern haben die Christdemokraten außerordentlich schlechte Ergebnisse bekommen, liegen weit hinter den führenden Grünen in Baden-Württemberg und der SPD in Rheinland-Pfalz.

Ziemiak hat eine Drei-Punkte-Erklärung mitgebracht. Erstens handele es sich um „persönliche“ Erfolge der beliebten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD). Zweitens habe sich das „wirklich unanständige und schamlose“ Verhalten von CDU-Bundestagsabgeordneten, die sich durch die Vermittlung von Geschäften mit Masken persönlich bereichert haben sollen, auf das Ergebnis der CDU ausgewirkt. Drittens hätten die CDU-Resultate mit der wachsenden Ungeduld der Bevölkerung angesichts des Corona-Krisenmanagements zu tun. Das müsse schneller und besser werden.

Diese Kritik trifft auf jeden Fall die Bundesregierung, wenngleich sich Landesregierungen auch angesprochen fühlen dürfen. Der Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß äußert sich gleich nach der Schließung der Wahllokale ähnlich wie Ziemiak.

Bemerkenswert ist am Sonntagabend, dass sich umgehend der CDU-Doyen Wolfgang Schäuble in den Interpretationswettbewerb einmischt. Man habe es nicht mit einem Signal für die Bundestagswahl zu tun, sagt der Bundestagspräsident, der aus Baden-Württemberg stammt. Vielmehr hätten die Persönlichkeiten der beiden Regierungschefs in Stuttgart und Mainz „mit weitem Abstand“ den Ausschlag gegeben.

Schäuble nennt Ergebnis vorhersehbar

Das Ergebnis sei „vorhersehbar“ gewesen, sagt Schäuble. Das immerhin war ein kleiner Vorteil für die CDU an diesem an Vorteilen so armen Sonntag. Schon lange zeichnet sich ab, dass in ihrer einstigen Festung Baden-Württemberg auch nach einem Jahrzehnt mit einem grünen Ministerpräsidenten die Rückkehr zur alten CDU-Vormacht nicht zu erwarten ist.

In Rheinland-Pfalz, wo die einstige CDU-Dauerherrschaft vor drei Jahrzehnten an die SPD verlorengegangen ist, hatte die CDU im Anlauf auf die Wahl sogar mal vor der SPD gelegen. Am Sonntag landete sie etwa acht Prozentpunkte hinter ihr.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, aber auch im CDU-Teil der Bundesregierung wird die hässliche Ahnung, die am Sonntag zur Gewissheit wurde, seit Wochen genutzt, um deutlich zu machen, dass der Südwesten nicht nur geographisch weit weg ist. Anders als bei der maritimen Havarie wird längst intensiv daran gearbeitet, zuerst den Kapitän zu retten. Der soll vor allem mit dem angeschlagenen Schiff in Baden-Württemberg nicht gleich in den Abwärtsstrudel gerissen werden.

Denn Armin Laschet ist erst seit Januar CDU-Vorsitzender und kann diese Funktion bislang nicht dazu nutzen, den Eindruck eines kraftvollen Neustarts der CDU in den mehr als zwei Jahren, die seit der Rückzugsankündigung Angela Merkels vergangen sind, zu erwecken. Laschet, so die Argumentationslinie, sei viel zu kurz im Amt, um mit dem Ergebnis einer der beiden Wahlen in Verbindung gebracht zu werden. Diesen Eindruck will er selbst ebenso erwecken wie seine Unterstützer.

Teil zwei der Bemühungen, die Erschütterung abzudämpfen, ist der Versuch, die Hoheit über die Interpretation der jüngsten Zeitgeschichte zu bekommen. Es geht um das Jahr 2017. Da sorgte der Überraschungskandidat der SPD für die Bundestagswahl, Martin Schulz, zunächst für Verunsicherung bei der CDU, weil er so gute Umfragewerte hatte. Dann brachten drei Landtagswahlen – im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein – die Wende für die CDU.

Lange wurde das als christdemokratische Erfolgsgeschichte erzählt. CDU-Politiker, die heute gefragt werden, ob nun die Trendwende nicht umgekehrt zuungunsten der CDU stattfinden könne, wiegeln ab. Damals sei in Düsseldorf und Kiel die SPD von der Macht abgelöst worden, dieses Mal handele es sich lediglich um eine Bestätigung beliebter Amtsinhaber.

Mit der Bestimmung neuer Landtage in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beginnt das Wahljahr 2021, das im Herbst seinen Höhepunkt in der Bundestagswahl findet. In der CDU und auch der CSU wissen sie, dass die Erholung in den Umfragen seit einem Jahr vor allem anderen der Pandemie geschuldet ist. Und Kanzlerin Angela Merkel, die zumindest lange durch ihr Handeln die CDU-Umfragen wieder hochgezogen hat. Spätestens jetzt, da das Wahljahr eingeläutet ist und Merkels bevorstehendes politisches Ende allmählich einem breiteren Publikum bewusst wird, muss die Union zeigen, dass sie auch ohne Merkel laufen kann.

Die K-Frage sorgt für Unruhe

Die wichtigste Entscheidung auf diesem Weg kann also nicht mehr allzu lange hinausgezögert werden. Die Landtagswahlen am Sonntag wurden immer als frühester Zeitpunkt genannt, nach dem die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten fallen müsse. Inzwischen zielt Laschet zwar auf den Zeitraum zwischen Ostern und Pfingsten, was Ziemiak am Sonntag noch einmal bestätigte. Die beiden Landtagswahlen, so sagt der Generalsekretär, spielten für die Kandidatenfrage keine Rolle.

Die Kandidatenfrage sorgt aber für wachsende Unruhe vor allem in der CDU. Genau werden Sticheleien und Kritik aus der CSU registriert. Dass CSU-Generalsekretär Markus Blume am vorigen Wochenende in der „Welt“ offene Kritik an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU übte, wurde in Berlin mit Missvergnügen registriert. Mancher in der CDU kann sich nicht vorstellen, dass der Machtmensch Markus Söder nicht gerne vom bayerischen Ministerpräsidenten zum Bundeskanzler aufstiege. Dass die Maskenaffäre von dem CSU-Mann Georg Nüßlein ausgelöst wurde, zwingt die bayerische Schwesterpartei immerhin zu etwas Zurückhaltung.

Weil Söder Ambitionen auf den Schreibtisch von Angela Merkel unterstellt werden, wird darauf hingewiesen, dass das erste Zugriffsrecht die CDU habe. Laschet hat aus seinem Willen zur Kandidatur nie einen Hehl gemacht. Je länger der CDU-Chef jedoch braucht, um das Bild einer starken Führungsfigur abzugeben, desto mehr wirkt das Beharren auf das Vorgriffsrecht der großen Schwester wie Pfeifen im Walde. „Die Bundestagswahl ist kein Selbstläufer“, sagt Ziemiak am Ende seines siebenminütigen Auftritts im Adenauer-Haus.

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