
AfD-Co-Chef Jörg Meuthen in Dresden: Diesmal keine intere Kritik
Foto: Sylvio Dittrich / imago images/Sylvio DittrichAuf den Slogan sind sie in der AfD sehr stolz: »Deutschland. Aber normal«. Er ziert Plakate, auf denen in der männerdominierten Partei auffällig viele Frauen zu sehen sind, er dominiert einen Werbefilm, in dem unter anderem ein Großvater sein Enkelkind ganz eng herzt.
Es ist die Botschaft, mit dem die Partei auf dem Weg in den Bundestagswahlkampf zieht. Es ist zugleich eine Art Tarnanstrich.
Von Normalität kann bei der AfD keine Rede sein. Intern tief gespalten, extern weiterhin in der Gefahr, vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft zu werden, derzeit nur angehalten durch einen Gerichtsbeschluss.
Der Richtungskampf zwischen Co-Parteichef Jörg Meuthen und seinem Kollegen Tino Chrupalla über einen eher gemäßigteren Kurs oder auch unter Einbeziehung der radikaleren Kräfte wabert weiter. Meuthen kann immerhin aufatmen, in Dresden wird ein Antrag von 50 Delegierten, die ihn absetzen lassen wollten, nicht auf die Tagesordnung gesetzt, eine Mehrheit stimmte für »Nichtbefassung«.
Während sich Meuthen – anders als noch im November auf dem Bundesparteitag in Kalkar – diesmal der innerparteilichen Kritik enthielt, geht Chrupalla den umgekehrten Weg: Er kritisiert die »innerparteilichen Kleinkriege« der vergangenen Monate, fordert ein »Schluss mit dem Lagerdenken«. Und er schließt auch Meuthen in seine Kritik mit ein: Die von diesem eingeforderte Disziplin »gilt für alle«.
Für die AfD ergibt sich knapp sechs Monate vor der Bundestagswahl ein widersprüchliches Bild. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz büßte sie rund ein Drittel der Stimmen ein, in jüngsten Umfragen im Bund liegt sie zwischen zehn und 12 Prozent. In Sachsen zog sie in einer aktuellen Civey-Umfrage sogar an der Regierungspartei CDU vorbei.
Ein »klares Profil, Einigkeit, Mut und Geschlossenheit« fordert Chrupalla in Dresden. Meuthen träumt von einem Erfolg bei den Landtagswahlen im Juni in Sachsen-Anhalt, der letzten vor der Bundestagswahl am 26. September. Man habe, »wenn wir es diesmal richtig angehen«, die Chance »erstmals und sogar mit einigem Abstand zur stärksten politischen Kraft in einem Bundesland zu werden«, sagt er.
Vorerst keine Spitzenkandidaten – aber vielleicht doch bald?
Vor der Messehalle demonstrieren in Sicht- und Hörweite Demonstranten gegen die AfD. In dem einstigen Schlachthof sind rund 560 Delegierte in Corona-Zeiten zusammengekommen. An Tischen getrennt, die überschaubare Zahl an Journalisten überwiegend in einer gesonderten Halle untergebracht, werden die Abstandsregeln in Pandemiezeiten weitgehend eingehalten, wenngleich einige Delegierte mitunter von der Sitzungsleitung zum Tragen der Masken ermahnt werden müssen.
In Dresden präsentiert sich, wenn auch nicht so lautstark und offen wie zuletzt in Kalkar, erneut eine gespaltene Partei. Dabei geht es beim Streit ums Wahlprogramm mitunter kreuz und quer. Lagerübergreifend wird lange über einen Antrag der Bundestagsabgeordneten Peter Boehringer und Harald Weyel für einen Austritt aus der EU gerungen, der sogar Meuthen und den mit ihm zerstrittenen Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland kurzzeitig zusammenführt. Ein Delegierter ruft ins Saalmikrofon: »Weil die EU sterben muss, wenn Deutschland leben will.«
Der 80-jährige Gauland hat das schon einmal erlebt, auf dem Parteitag in Stuttgart 2016 warnte er vor einem Austritt aus der Nato.
Nun weist er auf die Sorge europäischer Nachbarn »nach zwei Weltkriegen« vor einem »deutschen Sonderweg« hin, fordert für den Fall eines Dexits alternative Formen einer europäischen Zusammenarbeit. Meuthen mahnt, man erreiche damit »nichts im Wahlkampf, nichts in Berlin, nichts in Brüssel«. Doch am Ende müssen sich Meuthen und Gauland geschlagen geben. In dem Antrag heißt es nun, man halte »einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig«.
Auch sonst herrscht Unfrieden. Unter anderem in der Frage, wer die Gesichter im Bundestagswahlkampf sein sollen. Eigentlich will Chrupalla Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden, am liebsten zusammen mit Alice Weidel. Doch die Partei-Vize und Fraktionschefin im Bundestag hat am frühen Morgen eine Kandidatur auf dem Parteitag abgesagt (Lesen Sie hier die Details).
Vorerst wird also aus dem Duo nichts. Meuthen hatte sie ausgebremst, im März per Vorstandsbeschluss für eine Onlinebefragung unter Mitgliedern gesorgt, in der sich 87 Prozent der rund 7500 Teilnehmer (von 32.000 AfD-Mitgliedern) dafür aussprachen, die Frage der Spitzenkandidaten auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen – wiederum zu entscheiden in einer weiteren Mitgliederbefragung.
Der Versuch des sächsischen AfD-Landes- und Fraktionschefs Jörg Urban, doch noch die Wahl eines Spitzenduos oder eines Team auf die Tagesordnung setzen zu lassen, scheitert. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass die Spannungen unter den Delegierten zu spüren sind. Für die »Nichtbefassung« votieren schließlich 50,89 Prozent gegen 49,11 Prozent, ein knappes Ergebnis, das die Anhänger Meuthen als kleinen Punktsieg verbuchen können.
Doch die Kandidatenfrage ist nur verschoben. In Dresden wird für die kommende Mitgliederbefragung eine Zweier-Lösung verabschiedet, ein Team aus fünf Spitzenkandidaten fällt hingegen durch. Für Chrupalla ist damit noch alles drin, ebenso für Weidel an seiner Seite, sollte sie antreten wollen. Noch scheint vieles unklar, selbst den unmittelbar Beteiligten. Auch eine Meuthen-Anhängerin, die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, steht für eine Kandidatur bereit.
Wie auch immer die Personalwahl am Ende ausgeht, der Bundesvorstand hatte am Freitag einen Fahrplan für eine Mitgliederbefragung bis Ende Mai verabschiedet. Der aber steht nun im Widerspruch zum Beschluss von Dresden. Bewerbungen, so lautete noch dieser Beschluss, könnten »entweder als Einzelkandidaten oder als Team abgegeben werden«. Möglicherweise, so hieß es aus der AfD-Führung, könnte es am Sonntag mit einem weiteren Antrag zu einer Präzisierung des Prozedere der Spitzen-Kandidatenwahl kommen.
Höcke mischt öffentlich mit
In der sächsischen Landeshauptstadt fällt auf, dass der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke in der Antragsberatung mehrmals als Redner auftritt. So sichtbar war der 49-Jährige bislang auf keinem Bundesparteitag. Vehement wirbt der Rechtsaußen für eine Corona-Resolution, ein »politisches Zeichen« solle sie sein, am Ende wird sie angenommen. Den »mündigen Bürgern«, heißt es dort, sollte überlassen bleiben, »in welchem Maße sie sich selbst schützen möchten«, auch solle »jedweden, auch indirekten Zwang« zu Impfungen, Tests oder Apps unterlassen werden. Höcke schafft es auch, dass ein Antrag auf die Tagesordnung gelangt, der die Wiedereinsetzung des von Meuthen und vom Bundesvorstand abgesetzten Leiters der internen »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz«, Roland Hartwig, fordert. Darüber dürfte erst am Sonntag abgestimmt werden.
Höcke beschäftigt das Meuthen-Lager in Dresden auch an anderer Stelle. Als er nicht nur die Reform, sondern sogar als »letzte Konsequenz« die Auflösung des Verfassungsschutzes in einem Antrag verlangt, muss der Meuthen-Vertraute Alexander Wolf ans Mikrofon. Reform der Behörde, ja, aber Auflösung, das »schießt über das Ziel hinaus«.
Einmal mehr muss abgestimmt werden. Wolf siegt, und erleichtert applaudieren diesmal die Anhänger Meuthens.
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