Stand: 20.02.2021 18:57 Uhr
Derselbe Raum, dieselbe Staatsanwältin: Immerhin musste sich Kremlkritiker Nawalny am Tag seiner zwei Verfahren nicht groß umstellen. Absehbar auch die Urteile: Eine bestätigte Haft- und eine Geldstrafe.
Von Stephan Laack, ARD-Studio Moskau, zzt. Köln
Alexej Nawalny wird keine Atempause gegönnt: Nach dem Berufungsverfahren, in dem das Moskauer Babuschkinskij-Gericht die Haftstrafe gegen den Kremlkritiker im Wesentlichen bestätigte und nur um ein paar Wochen abmilderte, ging es gleich mit dem nächsten Prozess weiter.
In der kurzen Pause zwischen den Verhandlungen kündigte sein Anwalt Vadim Kobzew an, man wolle die zweieinhalbjährige Haftstrafe vor dem Kassationsgericht, einer obersten Instanz, anfechten. Es könne aber sein, dass Nawalny schon bald in ein Straflager gebracht werde. "Theoretisch kann er schon vor dem nächsten Verfahren in die Strafkolonie gebracht werden, man kann das heute oder morgen machen. Eventuell wartet man aber noch die Berufung im Fall der Verleumdung ab. Hier haben sie die ganze Palette an Handlungsmöglichkeiten."
Damit sprach Anwalt Kobzew schon den zweiten Prozess des Tages an. Der Vorwurf dort lautet: Verleumdung eines Weltkriegsveteranen. Der Kremlkritiker musste noch nicht einmal das Gerichtsgebäude wechseln und hatte sogar wieder dieselbe Staatsanwältin. Mitglieder seines Stabes kommentierten dies sarkastisch auf Twitter: Bald habe Nawalny auch noch einen persönlichen Richter und einen persönlichen Polizisten.
Diffamierung von Veteranen
Die Strafe fiel am Ende etwas geringer aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert: Umgerechnet rund 9500 Euro muss der Kremlkritiker zahlen. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass er den 94-jährigen Veteranen, der sich für einen kremlfreundlichen TV-Spot zur Verfügung gestellt hatte, auf Twitter unter anderem als "Verräter" und "Schande für das Land" beschimpft hat. An der Kampagne hatten neben gewöhnlichen Bürgern auch Prominente teilgenommen. Für Nawalny ist klar, dass der Kreml ihn als Vaterlandsverräter hinstellen will.
"Aber was habt Ihr, Euer Putin und Euer 'Geeintes Russland' mit diesem Krieg überhaupt zu tun?", fragte er. "Wenn man Euch so zuhört, möchte man glauben, dass Ihr selbst die ganze Zeit im Schutzgraben gesessen habt. Ihr nutzt all das aus, weil Ihr nicht über die Realität reden wollt."
"Sie lassen ihn nicht frei"
In seinem Schlusswort im Berufungsverfahren hatte Nawalny am Vormittag aus der Bibel zitiert: "Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden", so der Kremlkritiker, der wie viele Beobachter auch fest davon überzeugt ist, dass sich Präsident Wladimir Putin durch diese Prozesse an ihm rächen wolle. Er habe nicht nur den Nowitschok-Giftanschlag überlebt, sondern wolle auch noch seine politische Arbeit in Russland fortsetzen. Das sei eindeutig zu viel.
Der regierungskritische Politologe Leonid Gosmann geht davon aus, dass der Kreml immer neue Fälle konstruieren wird, um Nawalny wegzuschließen: "Denn es ist absolut offensichtlich, dass Nawalny inhaftiert bleibt, solange Putin an der Macht ist", sagt er. "Wenn es Putin gelingt, noch zweieinhalb Jahre im Kreml zu bleiben - das ist die Dauer der Lagerhaft, zu der Nawalny verurteilt wurde - dann bekommt Nawalny eben eine andere Haftstrafe für irgendetwas anderes: entweder Staatsverrat, oder weil er die Straße nicht richtig überquert hat und so weiter." Es spiele keine Rolle wofür. "Sie lassen ihn nicht frei."
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