Für das politische Berlin sind es aufregende Tage: Am Montag will der Parteivorstand der Grünen bekannt geben, ob er Annalena Baerbock oder Robert Habeck ins Rennen um die Kanzlerschaft schickt. Und bis zum heutigen Sonntag wollen sich, so stellten es die Konkurrenten selbst in Aussicht, auch CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder einigen, wer von ihnen als Spitzenkandidat der Union antritt. Es könnte ein langer Sonntagabend werden.
Schon ein aktuelles Zitat von Annalena Baerbock macht klar, was die Kandidatenkür in beiden Parteien unterscheidet. Anders als andere halte man sich bei den Grünen an das verabredete Verfahren, sagte Baerbock: »Was vorher gilt, gilt auch nachher. Und deswegen werden wir all diese Entscheidungen am Montag dann verkünden.«
Während die Grünen so Disziplin ausstrahlen, scheint die Union kurz davor, sich zu zerfleischen. Der erbitterte Streit, ob nun Laschet oder Söder der bessere Kandidat wäre, lässt die CDU und CSU schon seit Tagen um sich selbst kreisen.
Und auch am Sonntagmorgen, nach angeblich »guten« oder »konstruktiven« Gesprächen zwischen den Rivalen, ist unklar, was Laschet und Söder zum Ablauf ihrer Frist machen werden: Verkünden sie eine endgültige Entscheidung? Oder vertagen sie ihren Machtkampf und lassen doch Vertreter beider Parteien abstimmen?
»Ansonsten drohen Gräben aufgerissen zu werden«
Letzteres forderte am Samstag zum Beispiel CDU-Vorstandsmitglied Christian Baldauf, er sprach sich für eine Einbeziehung der Kreisvorsitzenden in die Entscheidung aus. Sofern die Kanzlerfrage nicht umgehend gelöst werde, brauche es »kurzfristig eine digitale deutschlandweite Kreisvorsitzendenkonferenz«, sagte Baldauf dem SPIEGEL. Es sei wichtig, in der Fläche ein breites Meinungsbild zu erheben »und die Botschaft der Basis zu hören«.
Carsten Linnemann, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, warnte derweil vor einem anderen Szenario zur Beilegung des Konflikts. »Was wir jetzt brauchen, ist eine gemeinsame Lösung und keine Kampfabstimmung in der Fraktion«, sagte Linnemann, der Armin Laschet unterstützt. »Ansonsten drohen Gräben aufgerissen zu werden, die sich nur schwer wieder zuschütten lassen.«
Auch Friedrich Merz hatte eine Abstimmung in der Fraktion als »die schlechteste aller denkbaren Möglichkeiten« bezeichnet. »Einigt euch«, appellierte Merz an Laschet und Söder.
Pläne für einen »Deutschlandrat der Union«
Der Vizechef des CDU-Sozialflügels, Christian Bäumler, brachte eine Schlichtung ins Gespräch, als mögliche Vermittler nannte er dem »Handelsblatt« Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier, Edmund Stoiber und Theo Waigel. Für künftige Entscheidungen zu Kanzlerkandidaturen forderte Bäumler ein neues Gremium, ein »gemeinsames, demokratisch legitimiertes Entscheidungsorgan, das die Stärke beider Parteien abbildet«.
Bäumler stellt sich demnach einen »Deutschlandrat der Union« vor. Darin sollten von den jeweiligen Parteitagen gewählte Vertreter beider Parteien den Kanzlerkandidaten aufstellen und das Programm beschließen. »Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dieses Organ nicht, da sich dort zu viele Einzelinteressen austoben«, meint Bäumler.
Wie angespannt die Lage in der Union ist, wie viele Szenarien gedanklich durchgespielt werden, zeigen auch andere Wortmeldungen. Dennis Radtke etwa, ein CDU-Politiker aus Nordrhein-Westfalen, zeigte sich verbal schon für eine derzeit noch weit entfernt scheinende Eskalationsstufe des Streits gerüstet. Eine Gründung der CDU in Bayern dürfe »kein Tabu mehr sein«, sagte Radtke dem ZDF – jedenfalls dann nicht, »wenn Söder die Kanzlerkandidatur erzwingen will, wenn er die CDU zerstören will«.
Seit Jahrzehnten gilt eigentlich, dass CDU und CSU nicht in Konkurrenz zueinander treten wollen. Die CSU nimmt daher nicht an Wahlen außerhalb Bayerns teil, die CDU ist nicht in Bayern aktiv.
Auch Teile der CDU favorisieren Söder
Zu den Politikerinnen und Politiker der CDU die Söder nun als Gefahr für den Parteifrieden darstellen, zählt auch Karin Prien, die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. Sie, die auch dem Bundesvorstand der CDU angehört, schrieb auf Twitter, »das respektlose, rücksichtslose Vorgehen der CSU und von Markus Söder« werde »nicht ohne Konsequenzen bleiben«.
Die frühere CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warf Söder unterdessen mangelnden Respekt vor der großen Schwesterpartei und deren Gremien vor.
Doch nicht nur in der CSU, sondern auch in der CDU finden sich Unterstützerinnen und Unterstützer Söders, die in ihm und vor allem seinen Umfragewerten die beste Chance dafür sehen, dass die Union bei der Bundestagswahl gut abschneidet. Indirekt für Söder sprach sich unter anderem der CDU-Landesvorsitzende von Thüringen, Christian Hirte, aus. Laschet und Söder seien von den Parteigremien und der Fraktion beauftragt, eine Einigung herbeizuführen, so Hirte. »Der Wunsch in der Mehrheit von Wählern und CDU ist dabei offensichtlich.«
Der Vorsitzende der Senioren-Union der CDU, Otto Wulff, hält dagegen zu CDU-Chef Laschet. »Ich halte nichts davon, Politik auf Basis von Tagesmeinungen zu machen oder den Kanzlerkandidaten nach den Umfragen auszuwählen«, sagte Wulff.
Spekuliert Söder auf eine Abstimmung der Fraktion?
Die Spitzengremien von CDU und CSU hatten sich Anfang der vergangenen Woche jeweils hinter ihre Parteichefs gestellt. Am Dienstag waren Laschet und Söder in der Bundestagsfraktion aufgetreten, wo es Dutzende Wortmeldungen gab – nach Teilnehmerangaben mehr zugunsten Söders als für Laschet. Beide stellten anschließend eine Verständigung bis Ende der Woche in Aussicht.
In CDU-Kreisen wurde am Samstag vermutet, Söder könne tatsächlich auf eine Entscheidung in der Unionsbundestagsfraktion kommenden Dienstag spekulieren. Unter seinen Anhängern wird angeblich bereits eine Unterschriftenliste vorbereitet, mit der Abgeordnete eine Abstimmung erzwingen wollen, sollte es am Wochenende nicht zu einer Einigung kommen.
Sowohl Laschet als auch andere CDU-Spitzenpolitiker hatten bereits abgelehnt, dass die Fraktion die Entscheidung treffen soll. Zum einen scheiden etliche Abgeordnete aus dem Bundestag aus. Zum anderen wies Armin Laschet darauf hin, dass es viele Kandidaten für den Bundestag gebe, die der derzeitigen Fraktion gar nicht angehörten.
Für die politische Konkurrenz ist der Machtkampf in der Union eine willkommene Vorlage, die am Wochenende nicht nur Annalena Baerbock aufgriff. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf der Union vor, während der Debatte über die Kanzlerkandidatur die Coronapolitik zu vernachlässigen. Der »Bild am Sonntag« sagte er: »Es ist wirklich erschreckend, was unser Koalitionspartner treibt. Tag um Tag vertändeln CDU und CSU leichtfertig mit ihrem internen Streit um Macht und Eitelkeiten, statt sich um die wichtigen Dinge zu kümmern.«
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